Moritz von Uslar: Nochmal Deutschboden – Meine Rückkehr in die brandenburgische Provinz

(1) -> 27.10.2010

2009 war der Autor Moritz von Uslar schon mal in Zehdenick. Er sah sich dort mehrere Monate lang um, freundete sich mit einigen Bewohnern an. Hardrockhausen nannte er den Ort liebevoll – oder auch Provinzhöllennest.
Immer wieder zog es ihn seitdem dorthin, und genau zehn Jahre später wollte der Autor schauen, wie es um den Ort, die kleine Stadt im Norden von Oberhavel, nun bestellt ist.
Im Frühjahr 2019 zog er noch einmal für mehrere Wochen nach Zehdenick, und nun gibt es sein Buch „Nochmal Deutschboden“.

Es hat sich einiges verändert. Die Stadt ist bunter geworden. Es gibt jetzt einen Dönerimbiss, der bis nachts um 1 geöffnet ist. Dafür ist der Große Ratskeller geschlossen. Es scheint dennoch, als ob die Menschen etwas besser drauf sind als vor zehn Jahren. Die Band 5-Teeth-less gibt es zwar nicht mehr. Aber natürlich trifft Moritz von Uslar wieder Raul und seinen Bruder Eric. Raul fährt Lkw, führt offenbar ein geregeltes Leben. Immer wieder geht um um früher, als sie noch Skinheads waren. Nicht wegen der Politik, sondern wegen der geilen Partys.
Moritz von Uslar lässt sich treiben. Er beobachtet. Geht zum Bäcker, trifft auf eine keifende Verkäuferin und trifft auf die Leute, die schon am Mittag in der Kneipe sitzen.

„Wenn du nochmal in unsere Kleinstadt kommst, muss es ein politisches Buch werden.“ Da bekommt er gesagt, als klar ist, dass er ein zweites „Deutschboden“-Buch schreiben wird.
Er ist in Zehdenick, während dort der Bürgermeister- und Europawahlkampf stattfindet. Er seziert die Kandidaten, die auf den Bürgermeisterstuhl wollen. Der eine mit klarem Handwerkergesicht, geboren in der Stadt. Der andere ein nicht der begabter Fußballer. Der nächste hat Ähnlichkeit mit Helge Schneider. Der Parteilose, der schon als Dorfversteher bekannt ist und offen schwul lebt und die AfD-Frau, die zu ihrem Programm wenig sagen könne, eine Frau, der der Gegenwart nicht ansatzweise intellektuell gewachsen sei. Überhaupt, die AfD – Moritz von Uslar ist auf die Truppe nicht gut zu sprechen. Ein Kapitel handelt davon, wie er sich mit einer Gruppe um AfD-Oberhavel-Chef Andreas Galau trifft. Er ließ sie auflaufen, stellte irgendwann gar keine Frage mehr.

Himmelfahrt wird in Zehdenick wie im ganzen Osten als Herrentag gefeiert. Auch in Zehdenick wird an diesem Tag gesoffen, und der Autor ist mittenmang. Am Abend findet ein Rechtsrockkonzert statt, und über der Stadt flirrt die nervöse, vorfreudige und angespannte Stimmung. Und der Autor bekommt aufs Maul.
Es sind die Momente, die ein wenig den Atem stocken lassen. Nicht unbedingt, weil man das alles nicht wusste. Es ist die immer relativ nüchterne, wie Moritz von Uslar das Geschehen beschreibt. Nüchtern, aber merkt man, wie es dennoch unter der Oberfläche leicht brodelt, wie auch in der Stadt selbst.
Interessant sind aber in dem Zusammenhang die Gegensätze, die er mitbekommt und beschreibt: Wenn sein Freund Raul lässig seine Stadt und das Geschehen kommentiert, Verständnis für dies und das aufbringt, aber auch feststellt, dass das mit der AfD eigentlich nichts ist und dass er die nicht brauche.

30 Jahre nach der Wende haben die Menschen eine stärkere Ostdeutschland-Identität als noch vor zehn Jahren. „Die reden anders miteinander, die haben einen anderen Umgangston. Der Umgang ist härter und auch politischer geworden“, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Es gebe einen rechten Sound, aber Ost bedeute nicht gleich Rechts. Dieses Ostsein empfinde er als positiv.
Moritz von Uslar zeichnet ein differenziertes Bild, aber eben auch ein sehr liebevolles Bild von Zehdenick. Eine Stadt, in der nicht alles gut ist. Aber auch eine, in der nicht nur Depessionen geschoben werden. Er schreibt rotzig, lyrisch, aber immer auf den Punkt. Es ist ein spannendes Porträt der Kleinstadt. Es wird nicht jedem gefallen. Aber es kratzt alles andere als an der Oberfläche. Und diesmal schafft er es sogar bis nach Deutschboden – dem Ort, der dem Buch den Namen gibt.

Moritz von Uslar: Nochmal Deutschboden – Meine Rückkehr in die brandenburgische Provinz
Kiepenheuer & Witsch, 330 Seiten
8/10


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