Deutschstunde

Es gibt Romanstoffe, die zwar schon mal verfilmt worden sind, die man durch Neuinterpretationen aber wieder ins Gedächtnis holen kann. „Deutschstunde“ ist so ein Film, der zu einem neuem Nachdenken über deutsche Geschichte führen kann.

Ein paar Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Norddeutschland. Siggi Jepsen (Tom Gronau) ist in einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche. Er hat die Aufgabe, einen Aufsatz zu schreiben. Thema: „Die Freuden der Pflicht“. Aber er gibt leere Seiten ab. Er weiß nicht, was er schreiben soll. Er wird in eine Zelle gesperrt – er soll sich Gedanken machen. Und er macht sich Gedanken, und er schreibt die Erinnerungen an die letzten Kriegstage zu Hause nieder.
Siggis Vater Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) ist durch und durch Nazi, er ist der Polizist im kleinen Ort an der Nordseeküste. Er hat den Auftrag aus der Hauptstadt, das Verbot, Bilder zu malen durchzusetzen. Seinem Freund, dem Maler Ludwig Nansen (Tobias Moretti) spricht er ein Berufsverbot aus. Eigentlich soll Siggi (als Kind: Levi Eisenblätter) helfen, ihn zu überwachen. Aber Ludwig bringt seinem Patensohn das Malen bei.

Christian Schwochow hat Siegfried Lenz‘ Roman „Deutschstunde“ von 1968 neu verfilmt. Er beginnt erst ein wenig unentschlossen und gemächlich, erreicht dann aber eine Spannung und eine Wucht, die fesselt. Diese Literaturverfilmung ist gelungen.
Das liegt nicht nur an der dann doch spannenden Umsetzung des Stoffes, sondern auch an den sehr guten Darstellern. Allen voran Levi Eisenblätter, der den jungen Siggi spielt. Er fühlt, dass sein Vater ein mieser Hund ist, aber er fühlt auch, dass er sich in Gefahr begibt, wenn er Ludwig beisteht. Seine Augen sprechen Bände. Sie zeigen die Schüchternheit, aber auch die Wachheit, die Wachsamkeit, die Angst.
Ulrich Noethen spielt den Vater, der scheinbar nur manchmal an dem zweifelt, was er da tut. Der dann aber seinen Willen mit aller Härte durchsetzt. Auch nach Kriegende.
„Deutschstunde“ zeigt aber noch was ganz anderes: Wie ein Einzelner mit einer Ideologie Terror verbreiten kann. Aber auch noch was anderes, was für die deutsche Geschichte Spannendes: Gerade in den ländlichen Gebieten schien nach Kriegsende alles weiter seinen Gang zu gehen. Das Personal blieb das Gleiche, wer unter den Nazis Polizist war, war es danach auch. Eine Entnazifizierung fand nicht statt – mit welchem Personal hätte man das auch machen sollen? Ein Thema, das heute kaum noch im Blickpunkt steht – indirekt aber doch, wenn auch heute noch über die Stasi in der damaligen DDR und den Leuten in Ostdeutschland geredet wird.
„Deutschstunde“ wirkt nach. Ein wichtiger, sehenswerter Film.

-> Trailer auf Youtube

Deutschstunde
D 2019, Regie: Christian Schwochow
Wild Bunch, 125 Minuten, ab 12
8/10


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