Ein Leben ganz weit draußen

Edith Ortmann und Brigitte Ney wohnen in Neu-Ludwigsaue und genießen dort Ruhe und Natur

MAZ Oranienburg, 23.3.2017

Neu-Ludwigsaue.
Bis zum nächsten Bäcker in Beetz sind es sechs Kilometer, zum Discounter nach Kremmen sogar elf. Ohne Auto geht das nicht, denn einen Bus gibt es in Neu-Ludwigsaue nicht. Das würde sich auch kaum rechnen, denn in dem Ort, der zu Beetz gehört, leben vielleicht gerade mal zehn Leute.

„Ich bin alle 14 Tage einkaufen“, erzählt Edith Ortmann. „Brot und Brötchen friere ich ein“, erzählt die 86-Jährige, die seit 1951 in Neu-Ludwigsaue lebt. „Früher bin ich ja auch nicht jeden Tag im Konsum gewesen.“ Früher aber gab es immerhin einen im zwei Kilometer entfernten Ludwigsaue. Vorratswirtschaft ist das Stichwort. „Wir haben immer einen Sack Mehl gekauft, Zucker, Salz in größeren Mengen“, erzählt Tochter Brigitte Ney. „Das mache ich heute noch“, und ihre Mutter weckt immer noch Obst ein. So wie früher.

„Ich fahre heute noch Auto, wenn es mir richtig gut geht“, sagt Edith Ortmann. Bis Kremmen, aber nicht weiter. „Nach Oranienburg schon nicht mehr.“ Neu-Ludwigsaue liegt irgendwo zwischen Beetz und Rüthnick, wer dort weg will, muss entweder den sandigen Waldweg zur Landesstraße nutzen oder den Umweg über Ludwigsaue nehmen – da immerhin ist die Straße asphaltiert. Wenn es ordentlich schneit, dann sitzen die Bewohner aber auch schon mal fest. „Es gab schon Tage, da konnten wir hier nicht weg“, erinnert sich Edith Ortmann.

Wer sich in Neu-Ludwigsaue auf die Straße stellt, erlebt: Stille. Es gibt kein Verkehrsrauschen, nur die pure Natur. Kreischende Kraniche, singende Vögel. Auf einem der Höfe stehen noch Rinder. Früher war dort mehr los. Als Edith Ortmann 1951 der Liebe wegen von Rüthnick nach Neu-Ludwigsaue zog – ihre Familie war 1945 von Ostpreußen nach Berlin geflüchtet – da gab es im Ort sehr viel mehr Landwirtschaft.
„Es war viel Betrieb hier. Jeder hat seinen Acker bewirtschaftet, und Vieh hatte auch jeder.“ Es war eine harte Zeit. „Wir hatten es alle im Kreuz.“ Die Kartoffeln wurden alle per Hand gelegt, bei der Ernte seien sie tagelang auf den Knien langgerutscht, „von hier bis zum Wald“, sagt Edith Ortmann und zeigt vom Grundstück weg. Bis zum Wald ist es ein ordentliches Stück.
Mit der Einführung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR verloren die meisten Neu-Ludwigsauer ihre Äcker, fanden stattdessen neue Arbeitsplätze in Beetz oder Sommerfeld. Für das kleine Dorf selbst aber bedeutete das: Stillstand.

Edith Ortmann bekam ab 1983 Invalidenrente – der Rücken war kaputt. Sie kümmerte sich fortan um die Pflege der Familie und um die Gärten. Seit 1980 ist sie Mitglied der Volkssolidarität, noch heute nimmt sie in Beetz an den regelmäßigen Treffen und Festen teil. „Da freue ich mich immer drauf“, sagt sie. Sie hat viel durchgemacht in ihrem Leben, „aber ich bin trotz allem ein lebensfroher Mensch.“ Auch wenn die Knochen wehtaten, wurde immer gelacht und getanzt. „Und ich stricke gern.“
Sie liebt die Ruhe in Neu-Ludwigsaue. „Wenn ich morgens das Fenster aufmache, höre ich die Kraniche.“ Der Wiedehopf ist neuerdings auch im Dorf anzutreffen. „Wirklich imposant!“, schwärmt die Rentnerin.

Was aber wird mal aus dem Ort? Gibt es auch in Zukunft Menschen, die so weit draußen leben möchten? Brigitte Ney sagt, dass sie verstehen kann, wenn ihre Kinder mal nicht den Hof übernehmen wollen. Dabei geht es nicht nur um die Lage. „Es ist auch viel Arbeit, hier ist ja alles ein paar Nummern größer.“
Gäbe es denn Kaufinteressenten? „Es kommen immer mal wieder Stadtleute, die die Ruhe suchen“, sagt Brigitte Ney. Aber da gehe es dann sicherlich nur um Wochenend- oder Feriendomizile. Dauerhaft sei es für Familien schwierig – der Weg zur Schule sei weit. „Wir kämpfen schon lange um den Radweg nach Beetz“, sagt Brigitte Ney. „Für Schulkinder ist der sehr wichtig. Die Fahrt auf der Chaussee ist einfach zu gefährlich.“ Es wäre wieder ein Stück Lebensqualität mehr in Neu-Ludwigsaue.


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