Tagesthemen: Schlussstrich unter Auschwitz?

DI 27.01.2015 | 22.15 Uhr | Das Erste

70 Jahre ist es her, dass das KZ Auschwitz befreit worden ist. Aus diesem Anlass spielt momentan der damalige Wahnsinn wieder eine besondere Rolle in unserem täglichen Leben. Wieder werden auf unsere Geschichte aufmerksam gemacht. Wie Menschen gequält, gefoltert, abgeschlachtet, vergast werden sind. Auch reinem Rassenhass. Aus reiner perfider Idiotie.
In Auschwitz kamen die damaligen Überlebenden zusammen. Sie sind inzwischen hochbetagt, sehr alt, und viele von ihnen werden das letzte Mal zu diesem traurigen Jubiläum an die Stätte des Grauens gereist sein.

NDR-Frau Anja Reschke sorgte am Dienstagabend in ihrem „Tagesthemen“-Kommentar im Ersten für Aufsehen, obwohl sie etwas vollkommen Selbstverständliches gesagt hat: Wir können keinen Schlussstrich ziehen unter Auschwitz, unter unsere Geschichte. Da, im ehemaligen KZ, sitzen Menschen, die das Grauen damals erlebt und überlebt haben, und da kommen ernsthaft irgendwelche dahergelaufenden Leute, die sagen, man solle einen Schlussstrich ziehen?
Anja Reschke hat das gut und richtig auf den Punkt gebracht. Dabei geht es, und viele wollen oder können das nicht kapieren, nicht darum, ob man selbst und ganz persönlich Schuld hat am Holocaust. Aber jeder von uns hat eine Verantwortung: nämlich die, angesichts unserer Geschichte, zu verhindern, dass so etwas wieder passiert. Dass wieder Ausländerhass die Oberhand bekommt. Dass wieder Leute an die Macht kommen, die voller Irrsinn im Kopf sind. Ohne das Gedenken an damals gibt es kein Heute. Wer ausschließlich das Heute sieht oder sehen will, beschränkt sich, macht es sich bequem.

Für Reschkes Kommentar gab es viel Lob – aber auch Hasstiraden. Bis dahin zu der Aufforderung, die Journalistin möge sich doch erhängen. Was für kleine Lichter doch solche Leute mit diesen Gedanken sind.


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Kommentare

5 Antworten zu „Tagesthemen: Schlussstrich unter Auschwitz?“

  1. ThomasS

    Es wurde jetzt schon soo oft ein Schlusstrich gezogen …
    Aber funktioniert hat das nie.
    Wird es auch nicht.
    Die Bilder werden bleiben.
    Und sie werden uns weiterhin regelmäßig heimsuchen.
    Damit wir nicht vergessen.
    Als könnte man das je.

    Zum 70. Jahrestag der Auschwitz Befreiung zeigte arte die Dokumentation „Night will fall“ über einen KZ-Film, der niemals fertiggestellt wurde. Das hatte politische Gründe.
    Die Westalliierten brauchten die Deutschen als Bündnispartner im Kalten Krieg. Da wäre es taktisch unklug gewesen, den Finger in die Wunde zu legen.

    Und dennoch: Die Bilder aus diesem Film kennt jeder Deutsche.

    Im Anschluss an „Night will fall“ machte der Sender mit dem Thema bis tief in die Nacht weiter. In drei hintereinander gezeigten Werken des Filmemachers Emil Weiss ging es um „Zeugnis geben über Auschwitz“ (Stimmungsbilder von den Ruinen des KZs, unterlegt mit Texten von Zeitzeugen), „Die Auschwitz-Ärzte des Todes“ (die Experimente von Mengele & Co.) und schießlich um das „Sonderkommando Auschwitz-Birkenau“. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von Häftlinge, die ihre Mitgefangenen ins Gas führen mussten. Erst danach durfte der Zuschauer mit „Elvis & Priscilla“ leichtere Kost genießen. Als aufrechter Demokrat habe ich mir den realen Horror bis zum Schluss angetan! Auch wenn ich mehr als einmal das Bedürfnis hatte abzuschalten.

    Vieles, was ich dort gehört habe, kannte ich schon aus etlichen anderen Dokumentationen: Die Brutalität, die Gefühlskälte, die Unmenschlichkeit, die Quälereien, der Sadismus der Nationalsozialisten.

    Aber genau daraus ergibt sich ein Problem, das ich bei der Sache sehe:

    Ich kann nachvollziehen, dass die alliierten Soldaten und Kameraleute, die damals unvorbereitet in die Lager kamen, den Eindruck haben mussten, sie seien in der Hölle gelandet. Sicherlich ist es noch einmal ein gewaltiger Unterschied, ob man die Situation unmittelbar miterlebt oder ob man sie „nur“ im Film sieht. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass man damals auch über die Bilder schockiert war. Solch eine teuflische Mixtur zwischen Barbarei und „Industrialisierung“ war ja vorher noch nie dagewesen! Zumindest nicht in diesem Ausmaß.

    Jedoch: Je häufiger wir diese Bilder vorgesetzt bekommen – abgemagerte Leichen, die mit einem Bulldozer in die Grube geschoben werden, Kinder, die ihre eintätowierten Nummern herzeigen, immer wieder dieser eine Häftling mit dem Auge … ich bin damit groß geworden – und je häufiger wir mit der Information konfrontiert werden, was die KZ-Insassen erleiden mussten, desto größer ist auch die Abstumpfung. Das ist eine ganz normale Reaktion des Gehirns, um sich zu schützen. Umso mehr, als dabei der Subtext mitschwingt: Das hast DU zu verantworten, weil du Deutscher bist oder Österreicher.
    Denn auch wenn du selbst viel zu jung bist, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorfahre von dir bei diesen Grausamkeiten in irgendeiner Form mitgemischt hat. Und sei es durch Wegschauen oder Anpassung. Das hat etwas von Erbsünde. Und wer psychisch nicht stabil ist, den kann dies ungeheuerliche Thema in seiner Persönlichkeit durchaus krank machen. Belastbarere Gemüter werden buchstäblich bloß des Themas müde.

    Eines steht fest:
    Irgendwie MUSS man darauf reagieren!
    Die Hölle von Auschwitz lässt keinen Raum für Nichtreaktion.

    Unter dieser Maßgabe kann ich schon nachvollziehen, dass es zunächst einmal zu Ermüdungserscheinungen kommt. Das muss in erster Linie gar nichts mit Leugnung oder gar mit Faschismus zu tun haben. Ich halte es aber nicht für abwegig, dass dies zum Nährboden werden könnte, auf dem braunes Gedankenungut (sic) erneut gedeihen könnte.

    Nein, ein „Schlusstrich“ lässt sich unter Auschwitz nicht ziehen! Wer so etwas fordert, ist entweder naiv oder verfolgt ungute Absichten.

    Andererseits kommt es auch immer darauf an, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Barbarei und Grausamkeit gibt es auf dieser Welt auch 70 Jahre nach Auschwitz noch mehr als genug. Jedoch: Weder du noch ich noch diese NDR-Kommentatorin werden sich demnächst nach Afrika einschiffen, um z.B. Boku Haram aktiv zu bekämpfen. Da könnte man Sofa-Philosophen wie uns vermutlich auch gar nicht brauchen, die mit dem Wort besser als mit der Waffe.

    So bleibt uns nur, vor dem Fernseher auszuharren und uns angesichts der Bilder von Auschwitz weiterhin schuldig zu fühlen … alle Jahre wieder.

  2. RT

    Was ich gestern bei „Night will fall“ teilweise gesehen habe, kannte ich noch nicht.

  3. ThomasS

    Und?
    Warst du auch angemessen schockiert?

    Laut DDR-Propaganda waren „die bösen Nazis“ ja eh alle im Westen. Aber auch die Kommunisten sind mit ihren Regimegegnern ja nicht eben glimpflich umgesprungen. Magst du dies bestreiten?

    Insofern ist es kein Wunder, dass es gerade in östlichen Gefilden „No Go Areas“ gibt, weil dort die Glatzen die Macht übernommen haben. Und das nur als Gegenbewegung zum Terror, der im Namen des Kommunismus stattgefunden hat.

    Und?
    Findest du das okay?
    Den Leuten, die dort residien, denen kannst du nicht mehr mit Auschwitz-Bildern kommen! Ganz im Gegenteil: Ich gehe davon aus, dass die das auch nocuh bejubeln!

  4. RT

    „Warst du angemessen schockiert?“ – Was ist denn das für eine bekloppte Frage?

    Und ob ich okay finde, dass es nazis gibt, die Frage beantwortet sich, wenn du hier oder in meinen anderen Blogs mal stöberst.
    Und denen kommt man mit solchen Bildern natürlich nicht bei, aber vielleicht denen, die Gafahr laufen, auf solche Idioten reinzufallen.

  5. […] der Diskussion um das Auschwitz-Gedenken und der Frage, ob man ein Schlusstrich runtersetzen soll, hilft es immer wieder, sich […]

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