Kirchenfeier im Schatten der Krise

50 Jahre Mauerbau: Henriette Fritzke aus Vehlefanz wurde am 13. August 1961 auf dem Grenzstreifen getauft

MAZ Oranienburg, 13.8.2011

Die Taufe der kleinen Henriette war wohl die letzte Feier, die in der Berliner Versöhnungskirche stattfand.

VEHLEFANZ
Die Mauer war für sie ein trauriger Fakt, sagt Henriette Fritzke. Aus mehreren Gründen ist der Vehlefanzerin der heutige Tag wichtig. Am 13. August 1961 wurde sie getauft. Doch an den Ort der Taufe kann sie nicht mehr zurück. Die Versöhnungskirche steht nicht mehr. Das Bauwerk an der Grenze zwischen Berlin-Wedding und Mitte ist 1985 gesprengt worden. Es stand im Grenzstreifen, und die Taufe der fünf Monate alten Henriette am Tag des Mauerbaus war wohl die letzte, die in der Versöhnungskirche stattgefunden hat.

Um 10 Uhr begann an jenem Sonntag in der Kirche der Gottesdienst. „Der Mauerbau war an dem Tag natürlich auch für uns ein Thema“, erzählt Henriette Fritzkes Mutter Carola Burth (76). Schon allein deshalb, weil überall der Stacheldraht lag. Außerdem war nicht klar, ob die Familie aus dem Osten mit rein kommen kann. Die Burths lebten damals in der Weddinger Ackerstraße, hatten aber auch Verwandtschaft in der DDR. Der Eingang der Versöhnungskirche war allerdings nur über den Westteil Berlins möglich, lag direkt an der Grenze. Die Kirche selbst stand im Ostsektor. Carola Burths Bruder nahm nicht am Gottesdienst teil, er studierte und durfte nicht nach West-Berlin. Hätten ihn die Grenzer an der Kirche kontrolliert, wäre rausgekommen, dass er im Westen war.
„Aber die haben uns weder überprüft, als wir in die Kirche gingen, noch danach“, sagt Carola Burth. Die Taufe selbst lief recht normal ab. „Es war eine recht kleine Veranstaltung“, erinnert sich Henriette Fritzkes Mutter. „Der Pfarrer war sehr konservativ, hielt seine Predigt. Fotos durften wir keine machen.“ Dass die Feier abgesagt wird, stand nicht in Frage. „Wir waren ja sehr mit der Kirche verbunden, außerdem wären wir dem Pfarrer in den Rücken gefallen, wenn wir gesagt hätten: Wir trauen uns nicht mehr.“

Wenige Tage nach der Taufe war die Kirche abgeriegelt, der Eingang zugemauert. Auch den Friedhof konnten die Burths nicht mehr besuchen – er lag im Osten Berlins. Unerreichbar. 1985, kurz vor der Sprengung der Kirche, war Henriette Fritzke noch mal dort, um von der Mauer aus einen Blick darauf zu werfen. „Die Sprengung war abartig“, sagt die Vehlefanzerin.

Die Freude war groß, als am 9. November 1989 die Mauer fiel. Heute wollen Henriette Fritzke und ihre Mutter Carola Burth zur Bernauer Straße nach Berlin. In Gedenken an die Taufe vor 50 Jahren und die bedrückenden Ereignisse drumherum.


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Kommentare

2 Antworten zu „Kirchenfeier im Schatten der Krise“

  1. Martin Beyersdorff

    Danke, eine feine Familiengeschichte

  2. RT

    🙂
    Fand ich auch.

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