Spacig und irgendwie cool

Fernsehen: Musiker aus Oberhavel über den Eurovision Song Contest 2011 / Keiner glaubt an zweiten Sieg

MAZ Oranienburg, 11.5.2011

Am Sonnabend will Lena Meyer-Landrut ihren Titel beim Eurovision Song Contest verteidigen. Musiker aus Oberhavel bezweifeln, ob das eine gute Entscheidung ist.

OBERHAVEL
Der eine nennt es Popkultur, der andere Kommerzkacke. Gestern Abend begann in Düsseldorf mit dem ersten Halbfinale der Eurovision Song Contest 2011 in Deutschland. Nachdem Lena Meyer-Landrut im Mai 2010 den „Satellite“ besang und damit in Oslo den Wettbewerb gewann, findet der Zirkus nun in heimischen Gefilden statt – und Lena ist erneut mittenmang.

Unter den Musikern in Oberhavel ist die Meinung über die große Show und das neue Lied von Lena gespalten. In den vergangenen Tagen hat sich „Willi“ mal in der Musikszene in der Region umgehört. Einige Bands – besonders die Hardrock- und Metalgruppen – haben auf die Anfrage allerdings gar nicht erst reagiert. Wahrscheinlich hätten sie sowieso nur abgewunken.

„Ich werde mir die Show angucken“, sagt Christian Lippert. Der 24-jährige Borgsdorfer spielt im Jazzkomplott, in der Band The Toulouse und beschäftigt sich ansonsten beruflich mit Online-Marketing. „Man bekommt einen ganz guten Eindruck von der Popkultur.“ Das neue Lied, mit dem Lena in Düsseldorf begeistern will, findet er „okay, nicht hammermäßig“. Da die Deutschen sich den Song allerdings aussuchen konnten und sich dann für „Taken By A Stranger“ entschieden, „scheint ja ein Großteil von ihnen damit zufrieden zu sein.“
Ihm ist allerdings aufgefallen, dass viele Länder in diesem Jahr mit einer „Lena-Kopie“ an den Start gehen. Dass Stefan Raab gleich nach Lenas Sieg entschieden hat, dass sie ihren Titel verteidigen soll, hält Lippert für eine Affektsituation. „Alle waren begeistert. Das ist wie eine gute Party, die man gleich wiederholen will.“ Allerdings verweist er auf die Statistik, dass noch nie ein Teilnehmer seinen Titel verteidigt hat. „Aber vielleicht hat sie auf Dauer mehr Erfolg“, so Christian Lippert. „Auch wenn ihre Tour nicht ausverkauft war.“

Philipp Kubiak von der Band Jazzica Nabis findet es ebenfalls richtig, dass die Hannoveranerin noch mal beim Song Contest antritt. „Sie ist ja schließlich die Titelverteidigerin“, sagt der 22-Jährige aus Lehnitz. Ihr neues Lied findet er „interessant. Aber es ist nicht das beste auf ihrem Album“. Weil seine Band gerade in einem Berliner Tonstudio am neuen Album arbeitet, kann er das Finale am Sonnabend nicht verfolgen. Dafür war er im vergangenen Jahr vor dem Fernseher dabei. „Es ist nicht wie bei einer Fußball-WM gewesen, aber ich habe mich über den Sieg gefreut.“

So geht es auch Christoph Hengelhaupt. Der Radiopilot-Schlagzeuger hat 2010 das erste Mal überhaupt die komplette Song-Contest-Show gemeinsam mit Freunden gesehen. „Euphorisch war ich nicht, aber toll war das schon“, so der 26-jährige Hohen Neuendorfer. „Ich finde es keine schlechte Idee, dass Lena noch mal antritt. Allerdings wäre es doof, wenn sie dann nicht so gut abschneiden würde.“ Ihren diesjährigen Titel – „Taken By A Stranger“ – hört er sich im Augenblick des Gesprächs an. Nach einer Weile sagt er: „Ich finde es ganz spacig, es klingt irgendwie cool.“

Lucas Fünfhaus sieht das etwas anders. „Ich finde Lenas Lied nicht so doll“, sagt der 21-Jährige aus Lehnitz. Er ist DJ und legt bei verschiedenen Diskos und Feiern in Oberhavel auf. Auch wenn er am Sonnabend selber „Mucke“ macht, wird er sich die Lieder aus dem Wettbewerb dennoch später mal anhören. „Vielleicht kann ich ja was davon verwenden“, sagt er. Statt Lena ein zweites Mal antreten zu lassen, „hätte man auch einen guten, jungen, anderen Künstler nehmen können“, ergänzt er.

Dem widerspricht Florian Nicolai. Der Frontmann von „Die anderen Kinder“ aus Hennigsdorf ist dafür, was zu riskieren. „Ich schätze Lenas Chancen als gut ein, bezweifele aber, dass es zur Titelverteidigung reicht.“ Das Lied, mit dem sie antritt, findet er gut. „Beim ersten Hören habe ich immer auf die Explosion im Song gewartet und fand es eigentlich immer ziemlich cool, dass die ruhige Stimmung bestehen bleibt.“ Die Show selbst will er sich allerdings nicht ansehen. „Die musikalischen Beiträge interessieren mich größtenteils nicht“, sagt er. „Das soll aber nicht heißen, dass das alles doof ist.“

Hannes Rössler vom Jazzkomplott aus Oranienburg muss ein wenig überlegen, wann er das letzte Mal den Eurovision Song Contest aufmerksam verfolgt hat. „Das war, als Stefan Raab mit Guildo Horn dabei war.“ Im Jahre 1998 kam es mit dem Lied „Guildo hat euch lieb“ zumindest in Deutschland zur Wende. Plötzlich redete fast jeder über die Show, die Einschaltquoten schnellten in die Höhe. Die Diskussionen um Horns Auftritt in der sonst so biederen Musiksause war hart. „Ich fand das sehr engagiert“, erzählt Hannes Rössler. „Aber inzwischen verfolge ich das alles nicht mehr.“ Er glaubt, dass dort nur Schlagermusik gespielt wird – „und nicht, was heute so aktuell ist. Ich finde das nicht so spannend“. Das Lied, mit dem Lena am Sonnabend in Düsseldorf antritt, hat er dennoch schon mal gehört. „Es ist ein bisschen sehr minimalistisch. Ich frage mich, ob so was der Allgemeinheit gefällt.“

Die ganz große Euphorie herrscht unter den Musikern im Landkreis nicht. Allerdings hatte im vergangenen Jahr auch niemand damit gerechnet, dass die Gewinnerin einer Castingshow es tatsächlich beim europäischen Wettbewerb ganz nach vorn schafft. In der Nacht zum Sonntag, um kurz nach Mitternacht, werden wir alle schlauer sein.


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