Das Jahr eins nach der Pandemie

Gesundheit: Robert-Koch-Institut rät zur Grippeschutzimpfung / Skeptiker sehen Risiken

MAZ, 19.10.2010

Das Schweinegrippevirus ist noch nicht aus der Welt. Es zirkuliert auch im kommenden Winter.

POTSDAM
Sieben Tote forderte die Schweinegrippe in der vergangenen Saison laut Gesundheitsministerium in Brandenburg. Deutschlandweit waren es 250 Tote – weniger als normalerweise: In einer durchschnittlichen Grippesaison sterben nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) 8000 Menschen an den Folgen einer Influenza.

Nach der Hysterie um den Erreger der Schweinegrippe (H1N1) im Jahr 2009 ist es stiller geworden. „Aber das Virus ist nicht aus der Welt“, sagt RKI-Präsident Reinhard Burger. Auch wenn die Verbreitung im Sommer aufhörte – das H1N1-Virus sei präsent, momentan verstärkt auf der südlichen Hemisphäre der Erde. „Wir schätzen, dass es erneut zu den zirkulierenden Influenzaviren im nächsten Winter gehört.“

Auf dem Höhepunkt der Schweinegrippe bestellte das Land Brandenburg 2009 etwa 1,05 Millionen Dosen des Impfstoffes Pandemrix im Wert von 8,8 Millionen Euro. Nach Angaben des Potsdamer Gesundheitsministeriums wurden davon nur rund 160 000 Dosen verbraucht. „Der Rest wird bis zum Ablauf der Haltbarkeit zentral gelagert“, teilte Ministeriumssprecher Achim Wersin auf MAZ-Nachfrage mit. Er sei noch verwendbar. Allerdings ist das H1N1-Virus sowieso Bestandteil des aktuellen Impfstoffes.

Die Potsdamer bleiben – das zeigte eine kleine MAZ-Umfrage – gelassen. Wenn Berth Böttcher die Auslage seines Blumen- und Obstladens in Babelsberg bestückt, zieht er sich warm an. „Ich habe mich schon impfen lassen“, erzählt er. „Wie jedes Jahr.“ Klara Berndt schüttelt dagegen den Kopf. Die Potsdamerin sagt: „Ich bin doch so selten krank.“ Obwohl zur Risikogruppe gehörend, verzichtet auch Apothekerin Anita Camara auf die Impfung. „Ich bin wenig anfällig“, sagt sie. „Aber erwischen kann es trotzdem jeden.“

Die vergangene Grippesaison ist laut RKI-Präsident Burger keine normale gewesen, sondern eine Pandemie. Das neue H1N1-Virus verbreitete sich schnell in aller Welt, hatte alle anderen Influenzaviren verdrängt. Die Gesundheitsämter in der Mark meldeten 5427 bestätigte Fälle der Neuen Influenza. „Sie wurden dann nicht mehr einzeln erfasst“, so Burger. Und er fügt hinzu: „Leider haben sich nicht viele Menschen impfen lassen.“ Das führt er auch auf die Verunsicherung der Leute zurück, die nach seiner Meinung „nicht zuletzt durch widersprüchliche, nicht immer fundierte Verlautbarungen entstanden war“. Tatsächlich war die Schweinegrippe das beherrschende mediale Thema im vergangenen Jahr.

Hans Tolzin, Redakteur der Internetseite „Impfreport“, bezweifelt, dass die Menschen durch die Impfungen gesünder werden und fordert darüber einen Nachweis. „Die Studien dazu laufen viel zu kurzfristig.“ Es seien keine statistischen Aussagen über mögliche Krankheiten in Verbindung mit der Grippeimpfung möglich. „Niemand weiß, wie häufig Menschen danach krank werden.“ Hinzu käme, dass der Wirkungsgrad selbst nach offiziellen Schätzungen zwischen 30 und 90 Prozent schwanke. Außerdem würden sich selbst viele Ärzte nicht gegen die Grippe schützen. Reinhard Burger vom Robert-Koch-Institut kritisiert das ebenfalls, weist die Kritik jedoch zurück. „Es wurden schon viele Millionen Menschen geimpft, eine größere Testreihe kann es nicht geben.“ Er räumt aber ein, dass es seltene Nebenwirkungen gebe. „Aber selbst da ist es schwer zu belegen, ob sie mit der Impfung im Zusammenhang stehen.“ Etwa zwei Wochen brauche der Impfstoff, bis ein Schutz aufgebaut sei. In diesem Jahr besteht er aus den Virusantigenen H1N1 sowie aus einem H3N2- und einem Influenza-B-Virus.

Brandenburgs Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) rät zur Impfung – insbesondere für Menschen mit chronischen Krankheiten, Schwangere und Rentner. Impfen lassen kann sich jeder beim Hausarzt. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten.


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