Der Clubretter und nichts als Gerüchte

Fernsehen: Das Team einer Pro-Sieben-Dokureihe wollte eine Marwitzer Disko aufmöbeln, brachte am Ende aber viel Ärger

MAZ, 27.5.2010

Mit der Realität haben die meisten Doku- Reihen der Privatsender wenig zu tun. Die sich auf den Dreh einlassen, haben oft nur Ärger.

MARWITZ
Eine gähnend leere Disko. Betrübt stehen Tom Wittenbecher und Susan Beastoch, die Betreiber der Beat-Fabrik in Marwitz (Oberhavel), vor dem Tor und blicken auf die leere Straße. Niemand will tanzen kommen an diesem Sonnabend.
Das sind Szenen, die Mitte April im Pro-Sieben-Magazin „Taff“ zu sehen waren. „Sem – Der Clubretter“ kam nach Marwitz, um die Disko vor dem Aus zu bewahren. Und das, was zu sehen war, erschien dramatisch. Nur leider ist es gar nicht an einem Sonnabend entstanden, wie der 43-jährige Tom Wittenbecher erzählt. Vielmehr drehte das Team an einem Mittwoch. Die Szene war gestellt. Nur die Aufnahmen von ein paar wenigen Tanzenden entstanden tatsächlich am Sonnabend, als die Disko geöffnet war.
So gut wie pleite sollen die Betreiber ebenfalls schon sein, Pro Sieben nannte genaue Beträge. Wie viel reinkommt, wie viel ausgegeben wird, was übrig bleibt. „Die Szene stand im Drehbuch“, sagt Tom Wittenbecher. „Mit der Wirklichkeit haben die Zahlen wenig zu tun, aber es sollte ja alles dramatisch sein. So schlimm ist es um uns nicht bestellt.“ Als die fünfteilige Serie bei „Taff“ auf Pro Sieben lief, kam die Beat-Fabrik ins Gerede. Keine Besucher? Pleite? Alles aus? Noch heute, sechs Wochen nach der Ausstrahlung, hält sich das Gerücht.

Eigentlich war das alles anders geplant. „Am Anfang sollte die Sendung ,Sem – Der Clubmacher’ heißen“, erzählt Susan Beastoch. Es habe ein Vorgespräch gegeben. Das Team von der Produktionsfirma wollte Teile der Disko renovieren, die Sanitäranlagen sollten renoviert werden, die Bar modernisiert. Doch daraus wurde nichts.
Während der Dreharbeiten hatten die Leute von Elke-N-Productions aus Berlin zum Pressetermin nach Marwitz eingeladen. Von Umbauarbeiten war nicht viel zu erkennen. Fotomotive, die Bewegung zeigten, waren rar. Alles sah aus wie sonst. Dafür stand ein selbstsicherer Sem Köksal, der Clubmacher, der zum Clubretter wurde, im großen Tanzraum und plauderte über seine drei eigenen Clubs und das Potenzial der Beat-Fabrik. Man müsse nur an ein paar Stellschrauben drehen. Dann würde der Betrieb wieder laufen. Wenn alles klappt, kämen jeden Abend 100 bis 200 Gäste mehr nach Marwitz, war er sich sicher.
Das Betreiberpärchen schien da schon skeptischer. Eventmanagerin Susan Beastoch war sichtlich angespannt. Nach dem ersten Drehtag wollten die 26-Jährige und ihr Partner den Vertrag auflösen. Doch das Fernsehteam überzeugte die Marwitzer. Wände wurden schwarz getüncht und billige Leuchtdioden an Bartresen und Fassade geklebt. Statt einem bunten Farbenwechsel der Lämpchen gab es technische Probleme.

„So soll es sein, so kann es bleiben.“ Mit diesem Lied im Hintergrund sind Tom Wittenbecher und Susan Beastoch dann in der Dokureihe zu sehen. Sie stehen vor der Beat-Fabrik und bestaunen die Außenbeleuchtung. Einige Tage danach war sie schon kaputt. Und die Marwitzer mit den Nerven am Ende. Am Sonnabend nach der Ausstrahlung kamen sehr viel weniger Gäste als sonst. Wittenbecher und Beastoch bekamen Mails und Anrufe. „Regelrechte Beileidsbekundungen“, so Tom Wittenbecher.

Norbert Gottfried, Redaktionsleiter der zuständigen Produktionsfirma Elke-N-Productions in Berlin, schien überrascht zu sein über das Echo nach der Sendung. Auf die genannten Vorwürfe und eine entsprechende MAZ-Anfrage ging er nicht näher ein. Gottfried merkte nur an, dass die Tanzimpressionen alle am 12. Dezember 2009 entstanden, einem Sonnabend. Das jedoch bestreiten selbst Wittenbecher und Beastoch nicht. Anders als die Szenen vor dem Haus, als kein einziger potenzieller Gast kam. Um die kaputten Außenleuchten wollte sich Gottfried jedoch kümmern. „Sie wurde – entgegen üblicher Gepflogenheiten – komplett von uns finanziert“, so der Redaktionsleiter. Offen lässt er damit, ob ansonsten die Protagonisten den Einsatz eines TV-Teams finanziell mittragen müssen. „Lange hat sich trotz gefühlter 100 Anrufversuche niemand um die Beleuchtung gekümmert“, sagt Tom Wittenbecher. Inzwischen funktioniert sie – zumindest teilweise, und aus technischen Gründen muss die Anlage nun auch am Tage am Stromnetz bleiben. Pro-Sieben-PR-Redakteurin Dagmar-Beate Christadler verweigerte darüber hinaus jeden Kommentar, verwies nur auf in der Reihe gezeigte Zitate der Marwitzer.

Warum sie sich darauf überhaupt eingelassen haben, verstehen die Diskobetreiber im Nachhinein nicht mehr. „Wir haben so was vorher immer abgelehnt“, sagt Susan Beastoch. „In dem Fall hatten wir gehofft, wirklich mal von außen neue Impulse zu bekommen. Im Diskogeschäft kann man schnell betriebsblind werden. Aber da kam recht wenig rüber.“ Tom Wittenbecher ergänzt: „Und wir haben es deutlich vor Augen geführt bekommen: Diese Dokus im Fernsehen sind gestellt, haben ein Drehbuch und entsprechen nur selten den wahren Begegebenheiten.“ Da werde übertrieben, Dinge anders dargestellt oder in einen falschen Zusammenhang gerückt. Am Ende bleibt vom Clubretter und seinen Ideen wenig übrig. Die Leute an der Bar haben neue Klamotten, hier und da ist ein wenig Farbe und hängen neue Lampen. Hinweise zum angebotenen Programm oder welche Partys veranstaltet werden können oder nicht, erwiesen sich für die Marwitzer als wenig neu.

Inzwischen kommen die Gäste wieder vermehrt in die Beat-Fabrik, das Haus läuft weiter wie bisher. „Wir kommen klar“, sagt Susan Beastoch. „Andere haben es wesentlich schlechter als wir.“

(mit Max Zimmermann)


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Eine Antwort zu „Der Clubretter und nichts als Gerüchte“

  1. […] Und im Abspann steht: Alles nur ausgedacht. In der ProSieben-Sendung “taff” tritt “Sem – Der Clubretter” seinen Dienst an. In einer Disko in Marwitz erneuert er ein paar Lampen und denkt, er habe alles […]

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