Perfide Idylle am Ort des Grauens

Geschichte: Eines der SS-Führerhäuser des Konzentrationslagers Ravensbrück ist nun ein Museum

MAZ, 20.3.2010

FÜRSTENBERG
Wenn SS-Lagerkommandant Max Koegel auf der Terrasse seines Hauses saß, hatte er den direkten Blick auf den wunderschönen Schwedtsee. Eine perfide Idylle. Schweifte sein Blick nämlich nach links, sah er genau auf den Eingang des Konzentrationslagers Ravensbrück. Koegel konnte die Gefangenen und das Geklacker ihrer Holzpantinen hören. War er davon genervt, ließ er sie zum Strafappell antreten, und der Kommandant hatte auf seiner Terrasse Ruhe. Koegel war es auch, der in Ravensbrück die Prügelstrafe für Frauen einführte. Wie lebte dieser Mann mit seiner Familie an diesem Ort des Grauens, wo Zehntausende Menschen starben?

Von heute Nachmittag an können Besucher der Gedenkstätte Ravensbrück in Fürstenberg (Oberhavel) das Führerhaus, in dem Koegel von 1939 bis 1942 lebte, besichtigen. Es ist eine von zukünftig fünf ortsbezogenen Ausstellungen an der historischen Stätte. In anderthalbjähriger Arbeit ist das Gebäude saniert und konserviert worden. Der größte Anteil der Kosten in Höhe von 660 000 Euro waren Sondermittel des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Wer sich im Haus umsieht, entdeckt die Spuren der Zeit. 1939 erbaut, war das Haus eine von vier SS-Villen am Rande des Lagers Ravensbrück. Nach dessen Befreiung lebten darin sowjetische Offiziersfamilien. Nach 1994 verfiel das Gebäude. Die Historiker wollen nun die verschiedenen Schichten der Nutzung zeigen. Ziel war es jedoch nicht, eine Zeitmaschine zu bauen, wie Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach anmerkt. „Wir wollen die verschiedenen Zeiten spürbar und wahrnehmbar machen.“ So steht in einem der Räume ein moderner Tisch, an den sich die Besucher setzen und in alten Akten und Schriftstücken blättern können.
Die Ausstellung im ehemaligen Führerhaus hat mehrere Schwerpunkte. So können Gäste nachlesen, wie das Alltagsleben in der SS-Siedlung funktionierte und dass zum Beispiel auch die Ehefrauen der Kommandanten Einfluss darauf hatten, wann Häftlinge bestraft wurden. Im Obergeschoss erfahren die Besucher, was aus den SS-Führern nach dem Kriegsende wurde: Ein Viertel von ihnen kam nie vor Gericht. Drei Hörstationen bieten weitere Informationen: Dazu gehören Aussagen von Einwohnern Fürstenbergs aus der Zeit des Dritten Reiches sowie Ausschnitte eines Gesprächs mit der Tochter eines Lagerkommandanten.
„Wir möchten die Besucher dazu einladen, dass sie sich damit beschäftigen, was sie hier vorfinden“, sagt Alyn Beßmann. Die Kulturwissenschaftlerin arbeitete mit am Konzept der Schau. Was unterdessen mit den danebenstehenden noch verfallenen Häusern passiert, ist ungewiss, nur das jetzt zum Museum umfunktionierte Haus gehört zur Gedenkstätte.

Jährlich kommen etwa 100 000 Menschen in die Gedenkstätte, 18 Prozent davon sind ausländische Gäste. „Die Zahl wird aber einen Sprung nach oben machen, wenn 2012 unsere neue Hauptausstellung eröffnet wird“, sagt Insa Eschebach.

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Fürstenberg/Havel. Di-So 9-17 Uhr.


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