Radikal enteignet

Geschichte: Im Jahre 1972 rollte über die DDR eine Verstaatlichungswelle / Zwei Handwerker erzählen

MAZ, 13.2.2010

Die Stasi-Enthüllungen im Potsdamer Landtag machen Artur Weiß wütend. Die Staatssicherheit machte ihn einst zum Staatsfeind.

BELZIG
Private Unternehmen im Sozialismus. Das passte in der DDR nicht zusammen. Schmiedemeister Artur Weiß aus Belzig brachte dieser Gegenpol mehr als zwei Jahre ins Gefängnis. Ein weiterer Privatunternehmer, der Neuruppiner Tischler Erhard Becker, konnte nach einer Krankheit seine Firma nur durch einen Trick weiterführen.

Insbesondere 1972 wehte für Privatunternehmer in der DDR wieder ein scharfer Wind. Über klein- und mittelständische Betriebe rollte eine Zwangsverstaatlichungswelle. Größere Betriebe waren schon längst volkseigen. „Angeblich kam die entsprechende Forderung von der Moskauer Regierung“, sagt André Steiner, Professor am Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam. „Aber meine Belege bestätigen das nicht.“ Der Enteignungsprozess war der Versuch, Geld für den Staat zu mobilisieren. Und das offenbar mit allen Mitteln.

Bei Artur Weiß in Belzig (Potsdam-Mittelmark) standen eines Tages drei Herren vor der Tür. „Einer war von der SED-Kreisleitung, einer von der öffentlichen Versorgungswirtschaft und einer höchstwahrscheinlich von der Stasi“, erinnert sich der heute 78-Jährige. „Meine Firma sollte in einer Produktionsgenossenschaft aufgehen.“ Weiß hatte eine gut laufende Schmiede in Belzig, er beschäftigte zwei Gesellen und zwei Lehrlinge. Sein Umsatz betrug etwa 30000 DDR-Mark pro Monat. „Ich habe viel investiert“, so Weiß. „Arbeit und Mühe.“ Er weigerte sich, seine Firma abzugeben, um nur noch Arbeiter im eigenen Betrieb zu sein. „Ich wollte nicht als Knecht für den SED-Staat arbeiten“, sagt er.
Die Herren kamen noch mehrmals, und ihre Methoden wurden rigoroser. Sie denunzierten Weiß bei Geschäftspartnern, die bald absprangen. Sie durchwühlten seine Betriebsbücher. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung. Weiß bekam einen Nachzahlungsbescheid in Höhe von 75000 Mark. Er zahlte und ging dafür an seine finanzielle Substanz. Dabei habe ihm das Belziger Finanzamt immer versichert, alles richtig gemacht zu haben, sagt der Handwerksmeister. Das war aber nicht das Ende der Schikanen. Artur Weiß bekam noch einmal Post: Die Potsdamer Polizei schickte ihm eine Vorladung. „Ich dachte, ich bin in drei Stunden zurück“, erinnert er sich. Daraus wurden zweieinhalb Jahre. Tagelang erfuhr seine Frau nicht, wo ihr Mann abgeblieben war. Weiß kämpft mit den Tränen, wenn er sich daran erinnert.
„Die Schuld zu begleichen ist eine Sache, aber die Sühne ist noch offen.“ Das waren die Worte, die er während des Verhöres gesagt bekommen hatte. „In mir war nur noch bodenloser Hass“, sagt Artur Weiß. Von ihrem Vorwurf rückten sie aber nicht ab: Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verbrechen am Volkseigentum, Volkshetze. Artur Weiß vermutet, dass ihm das einige recht laute Äußerungen in einer Kneipe eingebrockt haben.
Der Handwerksmeister landete in Untersuchungshaft. „Wie ein Stück Vieh wurde ich dort behandelt.“ Das Potsdamer Bezirksgericht verurteilte ihn, auch seinen Meistertitel war er los. Und nicht nur das: „An der Nachricht, dass ich verhaftet und vor Gericht gestellt werden soll, zerbrach fast meine Familie“, erzählt Weiß. Seine damals 20-jährige Tochter wandte sich schriftlich an den Staatsanwalt, griff ihn scharf an. Daraufhin wurde sie dorthin zitiert. „Dort wurde sie gefragt, ob sie auch dahin will, wo ihr Vater schon ist.“ Der 16-jährige Sohn drehte durch und versuchte mit einem Freund einen Grenzdurchbruch. Beide wurden gestellt und zu je einem Jahr Jugendhaft verurteilt.
Erst 1975 kam Artur Weiß frei. Doch seine eigene Firma war Geschichte. Und seine Familie nervlich völlig am Boden.

Der Staat ging bei den Enteignungen radikal vor, sagt der Potsdamer Geschichtsforscher André Steiner. Viel radikaler, als es anfangs vorgesehen war. Ausgenommen von den Aktionen waren nur Bäckereien, Fleischereien und sehr kleine Betriebe von Handwerksmeistern.

Einer von ihnen war Erhard Becker aus Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin). „Anfang der 70er hat kaum noch jemand ein Gewerbe bekommen“, sagt der 78-Jährige. Auch er sollte an einer Produktionsgenossenschaft beteiligt werden. Dass er das ablehnte, hatte für ihn und seinen kleinen Betrieb jedoch keine Folgen. Dennoch verlor auch er zu dieser Zeit fast seine Tischlerei.
„Ich lag in dem Jahr mehrere Monate im Krankenhaus“, erzählt Becker. „Meine Frau meldete die Firma ab.“ Als er im Januar 1973 weiterarbeiten wollte, durfte er zunächst nicht. „Es hieß: Eine Wiederanmeldung ist nicht möglich“, erinnert sich der Rentner. Er ließ Beziehungen spielen. „Wir mussten tricksen“, sagt Becker und lächelt. Erst nachdem die Akte mit der Abmeldung über Umwege vernichtet worden war, konnte Becker seine Arbeit fortsetzen. Als Einmannbetrieb hatte er dann kaum noch Probleme.

Bis Artur Weiß in Belzig wieder selbst eine Firma gründete, vergingen nach der Zeit im Gefängnis mehr als 15 Jahre. Bis dahin arbeitete er als Schlosser in einem volkseigenen Betrieb (VEB). Erst nach der Wende machte er sich wieder selbstständig. „Ich konnte wieder frei atmen“, sagt er. Er wurde voll rehabilitiert. Weiß erfuhr, dass er sogar nach DDR-Recht nicht hätte verurteilt – und schon gar nicht so behandelt werden dürfen. „Das war eine echte Genugtuung für mich“, sagt er. Inzwischen kennt er auch seine Stasi-Akte.
Die Geschichte wühlt ihn immer noch auf, und die jüngsten Stasi-Enthüllungen im Potsdamer Landtag machen es nicht besser. „Ministerpräsident Platzeck hat die Staatssicherheit salonfähig gemacht“, so Weiß. Er betitelt sie heute noch als seine Peiniger und bezeichnet sich als Stasi-Opfer. Artur Weiß ist wütend über das rot-rote Bündnis, auch fast 40 Jahre nach seiner Zeit im Knast.


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