Mit dem Feldstecher auf Elchsafari

Norwegen: Rund um das Gudbrandstal spielen die Tiere neben der Romanfigur Peer Gynt eine gewichtige Rolle

MAZ, 23.5.2009

Der Sommer ist recht kurz im norwegischen Süden. Doch interessante Museen, Festspiele und grandiose Natur wirken hier wie ein Magnet.

Olympia, Elche, Peer Gynt. Drei Stichworte zum Thema Norwegen. Das vierte ist neu: die Grand-Prix-Eurovision-Gewinnernation. Nicht nur im Winter, wenn die Skipisten rund um das Gudbrandstal zum Fahrspaß einladen, lohnt es sich, in das skandinavische Land zu reisen. Die atemberaubenden Landschaften, die gewaltigen Panoramen entlang des Flusses Gudbrandsdals-Lågen lösen bei Wanderern, Radlern und Paddlern wohlige Schauer aus. Die Berge rund um das Tal erstrecken sich in eine Höhe bis zu 1500 Metern.

Peer Gynt empfängt die Touristen in Form einer Statue gleich am Bahnhof von Vinstra. Die von Henrik Ibsen erschaffene literarische Figur des Peer Gynt spiele genau dort, im Gudbrandstal nordwestlich von Oslo, eine entscheidende Rolle. Straßen tragen seinen Namen, Schulen und sogar Einkaufszentren. 1867 veröffentlichte Ibsen sein Werk.
Seit 1928 finden in der Region jährlich die Peer-Gynt-Festspiele statt. Die Norweger kommen im Juli und August zur Freilichtbühne in der Nähe des Dorfes Gålå. Für die Aufführungen spielt die Natur eine große Rolle. Während die Zuschauer die Schlachten beobachten, kommen die Schauspieler per Schiff vom Wasser auf die Bühne. Die untergehende Sonne ist Teil des Spiels. Ein Naturschauspiel. Idyllisch liegt die Bühne direkt am See. Während der Ruhepause außerhalb des Sommers grasen dort die Schafe, die in Norwegen scheinbar überall frei rumlaufen. Seit 1989 wird „Peer Gynt“ am Gålåsee aufgeführt, inzwischen gibt es beim Festival drei Freilichtbühnen. Es ist das Sommerspektakel der Norweger. Am zwölftägigen Festival sind 120 Künstler und 300 Freiwillige beteiligt. Die Eintrittskarten sind begehrt. 2008 kamen etwa 25 000 Besucher. Wenn der Vorverkauf am 1. Oktober jeden Jahres beginnt, werden schon mal 18 000 Tickets innerhalb von nur drei Stunden verkauft.

Über die Europastraße 6, die sich von Süd nach Nord durch Norwegen erstreckt, geht es weiter nach Lillehammer, immer am Gudbrandsdals-Lågen entlang. Wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel ins Tal scheint, bildet sich so mancher tiefhängender Regenbogen. Zum Zugreifen nah.
In Lillehammer fällt der Blick auf die Skischanze Lysgårdsbakkenedie – das Symbol der Olympischen Spiele von 1994. Die Anlage thront über der kleinen 20 000-Einwohner-Stadt. Sportler, die oben den Abflug wagen, haben jedoch kaum Sinn für den tollen Ausblick.
Ein paar Schritte vom Skisprungzentrum entfernt steht das Olympische Museum. In der Håkons Hall wurde 1994 auch das Eishockeyturnier ausgetragen. Heute nutzen Handballer, Volleyballer und Badmintonspieler die Arena. In den Fluren sind Schautafeln aufgestellt, auf denen über alle bisher stattgefundenen Olympischen Spiele der Neuzeit erzählt wird. Liebevoll gestaltet, aus norwegischer Sicht und auch für Touristen erkenntnisreich: So wird darüber informiert, dass Berlin 1916 die Winterspiele austragen wollte. Wegen des Ersten Weltkrieges wurde die Veranstaltung abgesagt. Auch die Spiele von 1994 in Lillehammer finden dort ihren Platz – mitsamt der Geschichte des Carrigan-Harding-Eislaufskandals, dem Zickenkrieg der Eisläuferinnen. Die Norweger lachen heute drüber.

Ein echter Sport ist auch die Elchsafari, zu der die Touristen in den Bergen über Lillehammer starten können. Durch das Gebiet führen schmale Privatstraßen, für die eine Maut von 150 Kronen (20 Euro) berappt werden muss. Im Winter ist alles dicht, dann verlaufen dort die Skiloipen. Peter, der dänische Fahrer und Elchexperte, sieht der Safari gelassen entgegen: Von 25 Fahrten mit Touristen sei nur eine elchfrei geblieben. Bis zu 980 Meter hoch in die Berge führt der Weg. Die Elche hätten keine Angst vor den Autos, sagt Peter. „Wenn wir einem begegnen, müssen wir im Bus bleiben.“
In Norwegen leben etwa 200 000 Elche. Etwa 10 000 sterben jährlich bei Unfällen mit Autos oder der Bahn. Peter ist in seinem Element, hat viel zu erzählen: „Während Olympia 1994 sind die Elche ein echtes Problem gewesen. Alle zwölf Minuten fuhr ein Zug von Oslo nach Lillehammer. 15 000 Soldaten sind als Streckenposten an den Gleisen eingesetzt worden.“ Ein Zusammenprall zwischen einem Zug und einem Elch kostet wertvolle Fahrtzeit. „Das hätte ein Chaos ausgelöst“, sagt Peter. „So ist aber nichts passiert.“
Noch eine Anekdote: „Am Tag vor der Olympia-Eröffnung sind in Lillehammers Hauptstraße drei Elche gesichtet worden. Die Reporter haben das für einen Gag gehalten.“ Peter lacht: „Es war aber keiner.“ So weit also die Geschichten. Und wo sind die Elche? Der Bus tuckert weiter über die Bergstraßen. Eine weite Prärie mit Nadelbäumen, Wiesen und Hügeln am Wegesrand. Aber kein Elch. Zwischenstopp. Mit Feldstechern beobachten die Touristen die Gegend. Nichts. Immer noch kein Elch. Nur Schafe.
Weiter geht’s. Es ist ruhig geworden im Kleinbus. Alle starren raus. Links, rechts. Nervös, gespannt, ruhig. Peter hält erneut an, lugt durch seinen Feldstecher. Immer noch nichts. Weites Feld.
Nach zweistündiger Safari ist keines der Tiere zu sehen. Das ist dann wohl Fahrt Nummer zwei ohne Elch. Bei Svartseta stoppt der Wagen an einer Almhütte, in der Peters Frau ein Abendbrot herrichtet. Aber eine Elchsafari ohne Elch? Nein, nicht ganz. Auf dem Almhüttengrundstück stellt Peter einen zweiten Feldstecher auf, ein gewaltiges Fernrohr. Und da hinten – ganz in der Ferne, nur durchs Glas erkennbar: ein äsender Elch. Der Beweis. Es gibt sie. Irgendwo da draußen.

Nach dem Abendbrot dann der einstündige Rückweg durch die inzwischen eingebrochene Dunkelheit nach Lillehammer. Kein Elch im Scheinwerferlicht. Nur Insekten. Wenn wir das nächste Mal nach Norwegen kommen, sind die Elche hoffentlich kooperativer.


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