Wendejahr 1989: Misstöne

Geschichte: Politiker sagen Messe-Besuch ab

MAZ, 14.3.2009

LEIPZIG
„Er habe in Leipzig Gelegenheit zu einem guten Gespräch mit Erich Honecker gehabt.“ So steht es am 13. März 1989 in einem Beitrag der Märkischen Volkstimme. Johannes Rau (SPD), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, war zu Gast auf der Leipziger Messe. Es war Raus letztes Zusammentreffen mit Honecker.
Nicht vermerkt ist, dass es zu dieser Zeit auch Misstöne gab. Am 10. März 1989 hatten Grenzsoldaten an der Berliner Mauer auf Flüchtende geschossen. Daraufhin sagten Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP), Bauminister Oscar Schneider (CSU) und der bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Robert Leidinger den geplanten Besuch der Leipziger Messe ab. Eine fruchtbare Atmosphäre vor dem Hintergrund der jüngsten Vorfälle sei nicht gegeben, schrieb das Bundesbauministerium dem DDR-Bauminister Wolfgang Junker.
In einer Niederschrift der SED ist die Absage Haussmanns und Schneiders von Rau bedauert worden. Tatsächlich löste sie einen Streit in der Bundesrepublik aus. SPD und Grüne übten Kritik. SPD-Chef Hans-Jochen Vogel begrüßte Raus Entscheidung, am Besuch festzuhalten und Honecker seine Sorgen vorzutragen. Regierungssprecher Friedhelm Ost unterstrich das Interesse an deutsch-deutschen Beziehungen, die DDR müsse aber „elementare Menschenrechte“ beachten.
Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Martin Herzog (CDU) reiste aus Leipzig ab. Er sei aber der Meinung, dass die „fachlichen Gespräche fortgesetzt werden sollten“, wie das Hamburger Abendblatt am 15. März 1989 schrieb, weshalb er später erneut nach Leipzig reiste.
Honecker entgegnete Rau bei der Begegnung auf der Messe in Leipzig, dass die Westmedien die Ereignisse nur hochspielen würden. Umgekehrt hatte die Absage von Haussmann und Schneider ein Nachspiel: Als Vergeltung lud die DDR Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) aus Leipzig aus.


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