Bambi 2007

DO 29.11.2007, 20.15 Uhr, Das Erste

Die Bambi-Verleihung verkommt mehr und mehr zu einer Veranstaltung, bei der scheinbar willkürlich oder aus reklametechnischen Gründen Preise verliehen werden.
Okay, dass Johannes Heesters mit 103 Jahren (Sonntag wird er 104) immer noch auf der Bühne steht, ist doll. Aber allein dafür, dass er nun 104 wird, einen Bambi? Und das ab jetzt jedes Jahr? Seien wir doch mal ehrlich: Es tut weh, den alten Mann da zu sehen. So gut wie blind, zwar immer noch lebenslustig und liebenswürdig – aber dennoch hilflos sitzt er da und wartet, was man mit ihm anstellt. Ich empfinde da einfach nur sehr viel Mitleid.
Dass Sarah Brightman und Andrea Bocelli noch mal ihr „Time To Say Goodbye“ playbacken dürfen – eine tolle Überraschung für Henry Maske. Aber, ach ja: Den Song gibt’s ja bald auf der Best-Of-CD von Bocelli. Halten wir fest: Alles nur Reklame. Schade. Und ärgerlich.
Apropos ärgerlich. Der Courage-Bambi für Tom Cruise ist ein einziges Ärgernis. FAZ-Macher Frank Schirrmacher würdigte Cruise: Kein Titel als Chef der Filmfirma United Artists könne so groß sein wie die zwei Worte: Tom Cruise. Wie jetzt? Und das ist Courage, also mutig? Dass er einfach der Tom Cruise ist? Er habe kein Auf und Ab in seiner Karriere erlebt, sondern nur ein Auf. Ah ja. Dass insbesondere sein Film „Krieg der Welten“ furchtbar und ein Flop war, hat Schirrmacher vergessen? Desweiteren habe Cruise mit seinem Film „Von Löwen und Lämmern“ keinen Kassenschalger gehabt, das aber gewollt, es ginge ihm ja um die politische Botschaft. So so, aber Erfolg wäre sicherlich trotzdem schön gewesen. Und jetzt würde sich Cruise, so Schirrmacher, mit einem Mann beschäftigen, der sich im deutschen Widerstand gegen Hitler befand: Graf von Stauffenberg. Es habe eines Querdenkers bedürft, eines Weltstars, der sich dieses Stoffes annehmen würde, um Deutschland im Ausland Gehör zu verschaffen, um das Bild der Deutschen im Dritten Reich zu verändern. Schirrmacher weiter: Durch ihn, Cruise, würden die Menschen verstehen, dass man sich dem Unmenschlichen widersetzen könne. Dafür bekomme Tom Cruise den Bambi für Courage, den Mut-Bambi. Danach wurden Ausschnitte aus Cruises Film „Walküre“ gezeigt und weitere Bilder seines Schaffens. Daraufhin gab das Publikum im Saal Standing Ovations.
Starker Tobak. Halten wir mal fest: Erstens, Cruise, der zeigen will, wie man sich dem Unmenschlichen widersetzen kann, ist Mitglied bei Scientology, einer Vereinigung, die auch nicht gerade für Menschlichkeit bekannt ist, von denen berichtet wird, dass sie Repressalien ausübt. Dafür den Courage-Bambi? Zweitens, der Film „Walküre“ ist noch nicht mal in den Kinos. Wir wissen überhaupt nicht, ob dieser Film in irgendeiner Art und Weise etwas taugt, geschweige denn, ob er gut ist. Und dafür ein Courage-Bambi? Ist es nicht eher pure Werbung? Drittens, Cruise hat viele Filme in seiner Karriere gedreht. Das war nicht mutig, sondern ist sein Job, er verdient sein Geld damit. Dafür einen Courage-Bambi? Und vor allem auch noch Standing Ovations?
Wer bitteschön, hat dann noch alles ein Courage-Bambi verdient, wenn man den Preis einem Herrn Cruise hinterherschmeißt, obwohl wir die aktuelle, angeblich preiswürdige Leistung noch gar nicht begutachten dürfen? Allein, dass er den Stoff bearbeitet, ist noch nicht mutig. Es ist ja nicht so, dass es noch keine Filme darüber gibt.
Nein, liebe Preisstrifter vom Burda-Verlag: Diese Auszeichnung war ein eklatanter Fehlgriff, ein Schlag ins Gesicht für viele Scientology-Opfer und auch Filmschaffende. Und sehr traurig, dass das keiner im Saal mitbekommen hat. Geradezu unerträglich.
195 Minuten dauerte diese überüberlange Veranstaltung. Elendlange Laudatios und Danksagungen, dazu ein Harald Schmidt, dem man zurufen will, er möchte doch jetzt mal bitte Tachesles reden. Lieber Herr Schmidt, haben Sie es wirklich nötig, diesen Mist zu moderieren? Kann man Sie danach noch ernst nehmen?
Der „Bambi 2007“ (Übrigens vom MDR in Düsseldorf veranstaltet. Hatte der WDR in NRW keine Lust mehr? Oder war er sich zu fein? Oder hat das Ostfernsehen nun endgültig den Westen eingenommen?) war ein Event mit teilweise sehr fragwürdigen Entscheidungen.


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Kommentare

9 Antworten zu „Bambi 2007“

  1. markymark05

    Ich fand gerade den Cruise-Bambi begrüßenswert. Nach all den Querelen und den oberpeinlichen Querschüssen der deutschen Politik, die dem Filmstandort Deutschland nicht gerade zu Ansehen verholfen haben, musste ein Zeichen gesetzt, die Scherben wieder halbwegs gekittet werden werden. Somit wurde nicht nur Cruise geehrt, sondern gleichzeitig Schadensbegrenzung – im Sinne des Ansehens Deutschlands und seiner Filmindustrie – betrieben. Mit diesem Hintergrund dient die Ehrung durchaus einem höheren, viel „edlerem“ Zweck, als nur der Bejubelung eines überbezahlten Hollywood-Mimen.

    Wer Einblicke in die deutsche Film- und Unterhaltungsindustrie hat, der weiß, wie sehr es dort aufgrund des Verhaltens und der Aussagen einiger deutscher Politiker in diesem Jahr gebrodelt hat. Das Pro-Cruise-Plädoyer, das Florian Henckel von Donnersmark vor einiger Zeit in einer großen deutschen Tageszeitung geschrieben hat, war da nur die Spitze des Eisbergs. Es war somit auch ein kleiner Befreungsschlag und ein Statement, dass man sich politisch nicht unter Druck setzen lässt und sich derartige Einmischungen verbittet. Ein Stück weit hat sich die deutsche Medienlandschaft damit auch selbst geehrt.

  2. superstorm

    >>Seien wir doch mal ehrlich: Es tut weh, den alten Mann da zu sehen. So gut wie blind, zwar immer noch lebenslustig und liebenswürdig – aber dennoch hilflos sitzt er da und wartet, was man mit ihm anstellt. Ich empfinde da einfach nur sehr viel Mitleid.<< Nope. Heesters ist vermutlich einer der glücklichsten Rentner in Deutschland. Sein Job hält ihn fit, er bekommt Beachtung - und wartet nicht im Siechenheim verzweifelt auf seine Enkel. Mitleid muss man mit dem guten Mann wirklich nicht haben.

  3. mp

    >>Dass insbesondere sein Film „Krieg der Welten“ furchtbar und ein Flop war, hat Schirrmacher vergessen?<< Nix für ungut, aber "WAR OF THE WORLDS" war bisher der erfolgreichste Film von Cruise überhaupt und spielte weltweit fast 600 Mio $ ein.

  4. RT

    Aber in Deutschland lief er doch eher schlecht, oder?

    @superstorm
    Ehrlich gesagt finde ich, dass man mehr und mehr sieht, wie Heesters sehr stark abbaut. Er wirkte schon ziemlich orientierungslos. Klar, er will immer noch und er kann es auch. Aber es passiert dann auch wie auf Knopfdruck. Ich meine, er ist wirklich ein toller Mann, aber er läuft auch Gefahr, vorgeführt zu werden.

  5. AGA

    2,72 Millionen Kinobesucher

  6. RT

    Okay. Na gut.
    Dann bleibt mir nur zu sagen, dass ich ihn extrem mies fand. Aber fast 3 Mios sind schon gut.

  7. Andy

    Diese ständig selbstgefällige Selbstbeweihräucherung ist eigentlich nur noch peinlich! Keine andere Branche haut sich mit überflüssigen „Staubfängern“ – hier heisst er „Bambi“ – ständig so selbstherrlich und unappetitlich selbst auf die Schulter, wie die Damen und Herren der Medienbranche. Eigentlich ein Grund mehr zum weggucken….

  8. RT

    Ach na ja, in anderen Branchen gibts das auch.

  9. […] Tom Cruise Courage hat, wissen wir. Also, zumindest wir Deutschen wissen das, seit er einen “Bambi” hintergeschmissen bekommen hat, weil er sich traute, Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu spielen. […]

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