Bahnbekanntschaften (23): Und, was machen wir heute Abend?

Als ich am Bahnhof Oranienburger Straße in die S-Bahn steige, sitzen sie schon da. Markus und seine Freundin. Das heißt: Ob die beiden wirklich ein Paar sind – darüber ließe sich streiten.
Beide sitzen sich gegenüber. Er, vielleicht 22, 23 Jahre alt, ein wenig stämmig, dunkelblonde Haare, hat einen großen Seesack neben sich zu liegen. Sie, etwa gleichalt, sie bleibt bis Oranienburg namenlos, sitzt einfach nur da.
Wenn die beiden zusammen sein sollten, dann wäre das eine sehr trostlose Beziehung. Dann scheint nicht mehr viel los zu sein.
Er: Erzähl doch mal was!
Sie: Was soll ich denn erzählen?
Schweigen.
Nach einer Weile – sie: Soll ich so was erzählen, dass ich bei der Grippeimpfung war? Das ist doch nicht spannend.
Er guckt nur. In seinem Blick ist eine Mischung aus Langeweile und Trostlosigkeit. Er weiß nicht genau, was er sagen soll.
Die beiden fahren bis Oranienburg. Da scheint er zu wohnen, sie besucht ihn. Aber anscheinend sehen sie sich jeden Tag. Denn –
Er: Und, was machen wir heute Abend?
Sie: Weiß ich auch nicht. Hast du ne Idee?
Er: Ich habe doch schon Mittwoch entschieden.
Schweigen.
Er: Ja, und was machen wir nun heute Abend?
Sie schweigt.
Dann – Sie: Ich habe noch gar nicht geguckt, was heute Abend im Fernsehen läuft.
Er: Heute ist Freitag.
Sie: Stimmt. Heute ist Freitag, da kommt ja sowieso nichts.
Schweigen.
Sie: Wir können uns ja ein Video holen.
Er: Ich habe meine PIN-Zahl nicht.
Woraufhin ein Disput beginnt, warum man in einer Oranienburger Videothek eine PIN-Zahl braucht (in meiner brauche ich jedenalls keine).
Und wieder schweigen. Seinem Gesicht ist abzulesen, dass er ein wenig angeödet scheint. Ich könnte es, falls das stimmt, ihm nicht verdenken. Die junge Frau, die da neben mir sitzt, stocksteif, ist echt eine Träne. Tranig, bis zum Gehtnichtmehr. Was diese Beziehung hält, ist mir ein Rätsel.
Wenig später ruft sie über sein Handy einen gemeinsamen Freund an – sie hat ihr Handy blöderweise zu Hause liegen gelassen. Man könne ja einen Spieleabend machen. Wer denn alles da sei. Und ob man die Leute denn auch kenne? Und wenn er zurückriefe, dann doch bitte auf „Markus sein Handy“.
Was für ein Highlight tatsächlich auf dem Programm von Markus und seiner taffen Freundin stand, bliebt offen. Aber falls die beiden wirklich zusammen sind – das hält nicht mehr lange.


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