Wickerts Bücher: Der Fall Grass

DO 17.08.2006, 22.45 Uhr, Das Erste

Sehr viele Bücher scheint Ulrich Wickert nicht zu haben. In seiner vorgezogenen Premierensendung ging es nur um eines: Das neue Buch von Günter Grass.
Darin legt der Nobelpreisträger offen, in der Waffen-SS gewesen zu sein. Warum genau und wie das alles war – ja, also im Buch habe er das so gut beschrieben, das könne er jetzt gar nicht besser ausdrücken.
Aha. Soll heißen: Bitte kauft und lest mein neues Buch, da steht doch alles drin.
Sicher: Dass Grass erst jetzt mit seiner Lebensbeichte rausrückt, kann er selbst kaum erklären. Die Scham ist auf jeden Fall da. Dass er dafür von der Kritik niedegemacht wird, versteht er weniger. Das, was er geleistet habe, stehe doch trotzdem auf dem Papier.
Das stimmt. Dass er erst jetzt von seiner SS-Vergangenheit erzählt, ist aber trotzdem bedauerlich. Der Moralapostel der Nation hatte nun selbst etwas zu beichten.
Seine späteren Taten hätten vielleicht noch unter einem ganz anderen Stern gestanden, wäre seine Vergangenheit bekannt gewesen. Vielleicht wäre sein „Lebenswerk“ noch sehr viel respektabler gewesen. Vielleicht wäre der Literaturnobelpreis noch gerechtfertigter gewesen. Vielleicht wäre er auch so, nach einer früheren Beichte, Ehrenbürger von Danzig gewesen.
Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht.
Dass nun erst einmal viele entsetzt sind, sollte da nicht verwundern.
Und noch ein sehr fader Beigeschmack bleibt: Den Eindruck, Grass wolle sein Buch mit der Beichte promoten, hat sich mit dem Interview mit Wickert verstärkt. Unangenehm, wenn er mehrmals nur auf sein Buch verweist.
Interessant ist aber auch dieser Punkt: Schon vor einigen Wochen verschickte der Verlag, in dem Grass‘ Buch erscheint, das Werk an 4000 Journalisten und Händler. Kaum jemand scheint sich wirklich für Grass zu interessieren. Geschweige denn sein Werk lesen zu wollen. Das, was nun den Skandal darstellt, steht nun mal in eben jenem Buch. Jeder hätte das lesen können. Aber vielleicht warteten ja auch alle auf den 1. September. Erst ab diesem Tag sollte ursprünglich über das Buch geredet werden dürfen. Nun ist die PR-Maschine also doch früher angelaufen. Grass kann sie nun nicht mehr stoppen.


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