„Sie wollten nur kloppen“

Schlägerei in Oranienburg: Die Gewaltbereitschaft ist hoch – oft aus nichtigen Gründen


MAZ Oranienburg, 15.6.2006

ORANIENBURG

Seit Wochen kochen die Diskussionen um die so genannten „No-go-Areas“ hoch. Auch Oranienburg wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Erzählt wird viel. Hier eine Schlägerei, da Pöbeleien. Gerüchte über Neonazis, die in Gruppen durch Oranienburg laufen. Peter*, Max und Michael haben ihre eigene Erfahrung mit dieser Thematik gemacht. Auch wenn sie nicht ganz ins Klischee passt.
Der Abend des 2.Juni hatte eigentlich ganz gut angefangen. Eben hat die deutsche Fußballnationalmannschaft im letzten WM-Testspiel Kolumbien mit 3:0 geschlagen.
Die Gruppe um Peter, Max und Michael verfolgte das Spiel in einem Bowlingcenter im Oranienburger Oranienpark. Die drei warten danach draußen auf dem Parkplatz. es ist etwa 21Uhr. „Wir mussten auf die anderen warten“, erzählt Peter. „Dann sind fünf Mann auf uns zugekommen, alle in unserem Alter. Sie wollten Zigaretten haben.“ Ganz normale Leute, die auf der Straße gar nicht auffallen würden. „Es waren weder Rechte noch Linke“, so Peter weiter. Auch sie selbst wirken eher unauffällig. Kurze Haare, keine besonderen Klamotten, keine Merkmale, die auf irgend etwas schließen ließen.
„Am Anfang war das alles noch ganz nett“, erinnert sich Peter. „Wir haben ihnen eine Kippe gegeben.“ Michael ergänzt: „Dann haben sie nach einer weiteren Kippe gefragt. Das war auch noch okay. Dann wollten sie noch eine dritte.“ Michael habe einen von den Fremden an die Schulter gefasst und gemeint: „Hier, komm, ist vorbei. Mehr gibt es nicht.“ Woraufhin sich der andere ungerecht behandelt gefühlt habe. Es gab eine erste Rangelei. Peter: „Aber das hat sich schnell beruhigt.“
„Wir wollten dann weiter in Richtung Rosengarten“, erzählt Max. Dort sei ihnen die andere Gruppe wieder entgegengekommen. „Ihr Spacken!“, sollen sie gerufen haben. „Ihr seid ja nicht besser!“, war die Antwort der drei Jungs. „Das war wohl der Auslöser für alles, was dann folgte“, glaubt Michael. Plötzlich seien „massig Leute“ erschienen, die sich wohl auf dem Parkplatz rechts neben dem Bowlingcenter aufgehalten haben. „Wir waren natürlich naiv“, sagt Michael. „Wir hätten ja auch schnell rein ins Center gehen können. Aber wir sind stehengeblieben. Vier Mann sind auf mich losgesprungen, haben meine Sonnenbrille kaputt gemacht. Ich habe aber nichts Böses abbekommen.“ Peter habe noch versucht, einen der Fremden wegzuziehen, woraufhin auch er geschlagen wurde. Die „110“ wurde inzwischen über das Handy verständigt. Aber da sind die Jungs in Potsdam gelandet, die erst die Oranienburger Wache verständigen musste.
„Wir wollten dann über den Friedhof zum Rosengarten“, erzählt Peter. Dabei seien sie verfolgt worden. „Wir konnten den Streit nicht mehr schlichten“, erinnert er sich. „Sie wollten nur kloppen.“ Obwohl Max bisher kein Wort gesagt habe, seien drei Leute auf ihn zugekommen. „Deren Mädchen meinten, ich hätte sie beleidigt.“ Er wurde an einen Zaun gedrückt. „Da habe ich dann Schläge abbekommen.“ Aufs Auge. Man sieht es noch, auch zehn Tage danach.
„Man denkt: Warum machen die das?“, sagt Peter, über die Situation, in der sie sich befanden. „Ich konnte nicht mehr. Man ist machtlos, verspürt eine Aggression. Doch die Vernunft sagt: Mach nichts.“ Mehrmals hätten sie in der Zwischenzeit die Polizei angerufen. „Sie ist sicherlich dann auch da gewesen, da waren wir aber schon wieder woanders.“
Die Gruppe um Peter, Max und Michael hat sich inzwischen getrennt, machte sich auf den Weg zum Deutschen Roten Kreuz in der Berliner Straße. Peter wurde bis zur Erzberger Straße verfolgt. „Da wollte ich mit denen noch mal reden.“ Als sein Fahrrad umgetreten wird, bekommt er unerwartete Hilfe. „Eine Passantin kam vorbei, ist stehen geblieben und hat laut gefragt, was das soll.“ Da sei Peter losgelassen worden und er konnte weitergehen. Es scheint sie noch zu geben: Zivilcourage.
Am DRK war dann auch die Polizei vor Ort. Michael: „Wir wurden von den Beamten gefragt, warum wir gar keinen Notruf abgesetzt haben.“ Die Jugendlichen bekamen von ihnen den Rat, im Notfall besser die 03301/8510 zu wählen, da würde der Anruf direkt in Oranienburg landen und müsste nicht erst aus Potsdam weitergeleitet werden.
„Erst hielt ich die Diskussion um die No-go-Areas überzogen“, sagt Michael jetzt. „Aber wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist – man muss gewappnet sein.“
Jeder, der nicht kurzgeschoren ist, gelte als links. Ist man Punk, muckt man auf, könne es manchmal problematisch werden. „Diese Hilflosigkeit kotzt einen an“, bekräftigt Peter seinen Standpunkt. „Man muss sich von solchen Leuten sagen lassen, wie es zu laufen hat.“ Und: Man ruft bei der Polizei an und dann kommt lange niemand. Aber bei Radlern ohne Licht sind sie sofort zur Stelle.“
Die allgemeine Gewaltbereitschaft sei unglaublich groß. Michael: „Es wird einfach nur nach einem Grund gesucht, um zuschlagen zu können.“

Für Notfälle die Nummer der Oranienburger Polizeiwache: Tel. 03301/8510.

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.


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