ZAPPER VOR ORT: Willkommen bei Carmen Nebel

SA 13.05.2006, Berlin, Velodrom

Wenn Al Martino gesungen hat, sollen wir alle aufstehen. So ganz spontane Standing Ovations. Der Warm-Upper der großen Eurovisionsshow versucht, das Berliner Publikum auf das kommende Highlight einzustimmen. Er hat es nicht einfach. Die in die Jahre gekommenen Zuschauer wollen einfach nicht so klatschen und jubeln, wie er es gern hätte. Warum sollten sie auch? Passiert ja noch nix.
Gleich geht es los: „Willkommen bei Carmen Nebel“. Live im ZDF und im ORF2. Gesendet aus dem Velodrom in Berlin. Und wir sind dabei.
„Berlin, da geht noch mehr!“, ruft der schwitzende Warm-Upper. Al Martino kommt! Müder Applaus. Und Frank Schöbel! Und Mary Roos! Und Roger Witthaker!!
Fünf Minuten bis zum Beginn der Sendung. Die uns willkommen heißende Carmen Nebel (ihr Spitzname soll „Nebelkrähe“ sein), hat sich noch nicht blicken lassen. Zumindest nicht die Person Nebel. Aber selbiger wabert schon über die Bühne. Alle unsere Fernsehlieblinge postieren sich zum Anfangsbild.

Es geht los. Die Eurovisionshymne. Die Titelmelodie der Show. Und – zack – ist auch Carmen da. „Es ist ein besonderer Abend, der Abend vor dem Muttertag“, meint die Moderatorin. Carmen freut sich. Auf ihre Show. Auf ihren ersten Gast. Auf James Last.
James Last hat uns in der Vergangenheit viele Melodien geschenkt. Selbst spielt er kein Instrument. Auf die Bühne darf er trotzdem. So steht er vor seinem Orchester und klatscht und lächelt debil vor sich hin.
Lasts Fans nennen ihn Hansi. Und weil Carmen sein größter Fan ist, nennt sie James Last ab jetzt nur noch Hansi Last. Beim ersten Mal war es noch einen Schmunzelansatz wert.

Erster Überraschungsgast: Mutter!! Beimer!!! Zum x-ten Mal darf sie erzählen, dass sie ja schon 25 Mutter!!!rollen spielt hat und fast 50 Kinder in ihren Rollen hatte. Ich glaube, Carmen interessiert das in Wirklichkeit einen Scheiß. Aber was soll sie machen?
Und weil die Show ja Verwähnfernsehen sei (nicht fürs Publikum, sondern nur für die Stars), bekommt die Mutter!!! auch jeden Wunsch erfüllt. Champagner bis zum Abwinken.
Und auch die Mama!!! von Claudia Jung ist da! Ach, ist das schön!
Unterdessen playbackte Semino Rossi seinen Hit „1000 Rosen für dich“, den ich ersten Mal hörte. Carmen Nebel läuft zu dieser Zeit am Kulissenrand hin und her. Langweilt sie sich? Wundern würde es mich nicht. Der warm-Upper schunkelt uns etwas vor. Fast allein. Dem Publikum ist nicht nach Schunkeln. Und während Rossi (vom Aufnahmeleiter vorbereitete) Rosen an seine Mutter!!! überrreicht, steht schon der nächste Programmpunkt an der Bühne: die Schöneberger Sängerknaben.
Die Mutter!!! von Semino Rossi darf übrigens zwei Mutter!!!tage über sich ergehen lassen. Im Oktober ist dieser Tag nämlich erst im Oktober. Hat die ein Glück!

Und jetzt: Die größte Boygroup der Welt. 8 bis 15 Jahre alt sind die Jungs von den Schöneberger Sängerknaben. „Berliner Jungs sind richtig“ singen sie und das Playback scheint schon ein paar jahre auf dem Puckel zu haben.
Die Kabelhilfe sieht grinsend ins Publikum. Der Anblick scheint lustig zu sein. Glaub ich ihm gern.
An der Seite steht bereits Schlagergöttin Mary Roos bereit.
Doch die Knaben haben noch ein Ass im Ärmel. Da ja morgen Mutter!!!tag sei (ich kann’s nicht mehr hören), singen sie noch ABBAs „Mamma Mia“. Schööön!

Und James „Hansi“ Last steht noch immer vor seiner Band rum. Was er wohl denkt, während er nichts tut?
Was für ein schönes Lied.
Wer das wohl geschrieben hat?
Wo bin ich eigentlich?
Wie heißt die Sendung nochmal?

Innerhalb von einer knappen halben Minute wird Mary Roos‘ Bandkram aufgebaut. Das geht fix, denn irgendwas anstöpslen muss man ja für ein Playback nicht.
Mary singt „Mein Sohn“. den hat sie auch schon auf dem Hennigsdorfer Stadtfest zum Besten gegeben. Danach müssen Mary und Carmen erst mal ein bisschen heulen. Musste Mary in Hennigsdorf auch schon.
Danach kommen noch die Mama Singers. „Oh Mary, oh Mary…“ singen sie. Überraschung für Mary Roos: Ihr Sohn ist der Sänger. Geschenk zum Mutter!!!tag!

Die Feldberger verpassen fast ihren Auftritt. Sie stehen erst in der Sekunde, als Carmen sie ansagt samt Instrumente auf der Bühne.
Während des Talks danach balanciert Claudia Jung sich und ihr Kleid auf die Bühne und sucht die richtige Sitzposition. Und atmen muss man in diesem Fetzen ja auch noch irgendwie.
Eine Reihe hinter uns wird getuschelt: „Is dit langweilig!“
Tja, würden wir die Show zu Hause sehen – nein, wir würden sie gar nicht sehen. Nach zwei Minuten wäre Schluss gewesen.
Claudia Jung darf noch ihre Tochter Anna in die Kamera schieben. Wie nett. Das sind dann wahrscheinlich die Prominenten, die sich aufregen, wenn eine Boulardzeitung ihr Kind abknipst. Aber in der ZDF-Sonnabendabendshow ist das ja was anderes. Ist ja auch Mutter!!!tag.

Marcel ist der Heintje des neuen Jahrtausends. „Meine Mama ist die beste“ singt (Entschuldigung, playbackt) er. An dieser Stelle plädiere ich für die Abschaffung eben jenes Mutter!!!tages. Marcel klingt übrigens auch genau wie Heintje. In der Schule wird er bestimmt gehänselt. Und – Überraschung- auch Marcels Mama!!! ist da. „So einen hübschen und wohlerzogenen (da gehen die Meinungen auseinander) hätte ich auch mal gern“, flötet Nebels Carmen. Ach ja, und weil morgen Mutter!!!tag ist, kommen auch noch Marcels brüder Manuel und Andy, um ein Liedchen zu singen. Mama schluchzt.

Bald ist Fußball-WM. Warum nicht mal einen Fußballsong schmettern, denkt sich Frank „Weihnachten in Familie“ Schöbel. Macht ja sonst niemand. Und außerdem ist er ja auch Spieler beim BSV Eintracht Mahlsdorf. „Fußball ist rund wie die Welt“ bringt sogar den Kameramann dazu, zu singen.

Und dann kommt das Idol aller besten Familienfeiern der 80er, 90er und Nuller: Roger Witthaker. 55 Millionen Tonträger hate er schon verkauft. Er singt zwar auf deutsch. Deutsch sprechen kann er jedoch nicht. „Meine Liebe gehört nur dir“. Ein langweiliger Song. Damit er weiß, in welche der vielen Kameras er gucken muss, bekommt er Orientierungshilfen. Eine Regieassistentin winkt ihm immer zu und zeigt auf die richtige Kamera.

Peggy March darf auch mal wieder ins Fernsehen und ihr gefühlte 30 jahre altes Playback abspulen. Das Publikum emanzipiert sich weiterhin vom Warm-Upper und klatscht nicht so heftig, wie er es gern hätte.
Aber dann kommt er: Der Dieter, der Thomas, der Heck! Er darf (warum auch immer) ein paar Minuten seine Hitparade aufleben lassen. Im Schnelldurchlauf werden Bata Illic („Michaeeela, a ha“), Michael Holm, Roger Witthaker („Albany“, die Familienfeierhymne!), Lena Valaitis („Ob es so oder so“), Chris Roberts („Du kannst nicht immer 17 sein“) und Mary Roos über die Bühne geschleust. Und Abgang, weg, dankeschön, nächste Nummer.

„Was ist schöner als ein Musical? Zwei Musicals!“ Falsch, Carmen. Kein Musical, sondern das Ende der sendung wäre die richtige Antwort gewesen. Es ist 22 Uhr und wir langweilien uns tödlich. Es passiert einfach nichts spannendes in dieser Show. Nummer folgt an Nummer, scheinbar ohne Konzept. Wer grad Zeit hat und nicht allzu viel gage haben will, darf mitmachen.
Der Song vom zukünftigen Stadl-Ansager Andy Borg klingt wie ein unveröffentlichter Roy-Black-Song. Während Carmen Andy interviewt, wird die bereits vorbereitete Marshall-und-Alexander-Kulisse wieder abgebaut. Sie die krank? haben die keine Lust mehr? Zu wenig Gage? Seltsam.
Nur Carmen hat niemand Bescheid gesagt. Als die Moderatorin für Marshall und Alexander beginnt, winkt der Aufnahmeleiter hektisch. Carmen bricht ab, guckt eine Sekunde doof und geht zum nächsten Programmpunkt über. Hat fast keiner gemerkt.

Al Martino untrbrach sein Rentnerdasein für einen Auftritt in Deutschlands Top-Musikshow, um zum 12151.Mal „Volare“ zu playbacken. Das band dazu scheint nicht aus dem 21. Jahrhundert zu stammen. Als er fertig war, ruft Carmen: „Wir wollen ,Spanish Eye‘ hören!“ Schon wieder falsch, Carmen: Wir wollen nach Hause gehen!
Als Al auch damit durch ist, erhebt sich das Publikum. Wow. Der alte Kancker hat’s wohl verdient. Und die Zuschauer zu Hause müssen ja nicht wissen, dass das abgesprochen war. Andererseits: Wir sind froh, nach über zwei stunden endlich mal aufstehen zu dürfen.

Dann ist es auch endlich vorbei. Nur 10 Minuten überzogen. 145 Minuten reichen aber auch. Am 29. Juli gibt es die nächste Sendung – dann aus Österreich.
Schlussmusik, Eurovisonshymne und aus.
Carmen verschwindet. Carmen Nebel hat es weder nötig, das Saalpublikum vorher zu begrüßen, noch es nach der Show zu verabschieden. Das Privileg haben nur die Fernsehzuschauer. Das „Willkommen bei Carmen Nebel“ gilt wohl nur für sie. Wie ärmlich.

Fazit: Vor Ort ist so eine Fernsehproduktion natürlich immer spannend. Die Show selbst ist ätzend, vor dem Fernseher wahrscheinlich unerträglich. Und für eine Großaufnahme hat es auch gereicht.


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