In den Höhlen des Seeogers

Bei Rollenspielen versetzen sich die Akteure mit viel Fantasie in eine andere Welt

MAZ Oranienburg, 27.11.2002

BERGFELDE
Ein vornehmes Hotel im Mittelalter: Eine Gruppe, bestehend aus einem Ritter, einem Magier, einem Wildhüter und einem Krieger, sitzt beim Abendbrot. Sie beobachten zwei Frauen, die sich scheinbar über sie unterhalten. Als eine von ihnen den Raum verlässt, wollen ihr der Wildhüter und der Ritter folgen. Sie müssen etwas über sie herausfinden.
Nun gut, wir befinden uns nicht wirklich im Mittelalter – und auch nicht in einem Hotel. Die fünf jungen Männer in dem Bungalow in einem Bergfelder Hinterhof sind auch keine Krieger oder Ritter, sondern ganz normale Schüler und Studenten. Die Szenerie gibt es nur in ihren Köpfen. Im Rollenspiel „Das schwarze Auge“ werden Geschichten erzählt und nachgespielt. Handlungssituationen werden beschrieben, an vielen Stellen werden Dialoge eingesetzt.
Lars Kröger (19), Carsten Wloka (18), Tobias Martens (24), David Pluntze (24) und Thomas Martin Stange (24) treffen sich alle zwei Wochen zum Rollenspiel-Abend. „Es ist eine Freizeitbeschäftigung. Wie Romane lesen“, meint David, „ nur dass man selbst mitspielt. Im Roman denkt man oft, das hätte ich anders gemacht. Hier kann ich es anders machen.“ Dabei sitzen die jungen Leute um einen Tisch, auf dem Schoß haben sie einen Ordner, in dem alle Informationen über die Person steht, die sie spielen.
In der Geschichte „In den Höhlen des Seeogers“ stellt Lars zum Beispiel einen Magier aus den orientalischen Tulamiden-Landen dar: schwarze Haare, dunkle Augen, langes Gewand, verziert mit Symbolen, ein Siegel auf der Stirn – alles ist oder wird festgelegt. Vieles kann der Spieler selbst bestimmen, muss sich dabei aber an gewisse Richtlinien halten.
Wichtige Einzelheiten über „sich“ oder die Szenerie erfahren die Akteure von Thomas, ihrem Spielleiter. Er ist sozusagen der Erzähler der Geschichte, weiß über alles Bescheid, beaufsichtigt und lenkt das Spiel und gibt den anderen Tipps, wenn sie sich mal verrennen sollten. Zwar hat jede Geschichte einen vorgegebenen roten Faden, wenn die Gruppe ihn jedoch mal verlassen sollte, muss er dafür sorgen, dass alles weitergeht. So war der Abstecher in das vornehme Hotel laut der Vorgabe im Buch gar nicht geplant. Also musste Thomas improvisieren. Und auch alle Nebenrollen übernimmt er.
In dieser Form besteht die Gruppe seit einem guten halben Jahr. Thomas und David bilden den harten Kern. Thomas Martin Stange beschäftigt sich seit 1991 mit Rollenspielen. Damals hat er von seinem Bruder ein Prospekt in die Hand gedrückt bekommen – Toms Interesse war geweckt. Lars Kröger nahm über seine Schwester Kontakt mit den Rollenspielern auf. Sie ist damals aus zeitlichen Gründen ausgestiegen, konnte aber gleich ihren „Nachfolger“ präsentieren. Lars kannte das System bereits als Computerspiel.
„Das schwarze Auge“ ist das größte Rollenspiel dieser Art in Deutschland. Inzwischen sind 120 verschiedene Geschichten erschienen, von denen viele aber nicht mehr käuflich zu erwerben sind. „Allerdings kann man aus Geschichten, die im Buch nur am Rande vorkommen, auch große machen“, erzählt Thomas.
Momentan beschäftigen sich die Jungs mit einer Story aus dem Mittelalter. Es gibt aber auch Sci-Fi- und Horror-Rollenspiele.
„Leider scheinen sich deutlich weniger Frauen als Männer für Rollenspiele zu interessieren“, meint Thomas. „In zehn Jahren hatten wir nur zwei Frauen in der Gruppe.“
David und Tom fahren einmal im Jahr zum großen Treffen des Allgemeinen Deutschen Rollenspielvereins (ADRV). Dort treffen sich Rollenspieler aus ganz Deutschland und tauschen sich aus. Auf der Internetseite des ADRV können Interessierte übrigens in einer Datenbank („Koop“) nachforschen, ob es in ihrer Wohngegend Rollenspielgruppen gibt.

Internet:www.adrv.de


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert