In der AGA (18): Zwergenrettung

Da hätte man echt kotzen können. Als ich am Freitagabend aus Wesendorf zu Hause ankam und meine Sachen ausgepackt habe, ist mir ein ekliger Gestank entgegen gekommen. Die gesamten Bundeswehr-Klamotten haben dermaßen gestunken, dass ich eigentlich eine Gasmaske gebraucht hätte. Der Raum, in der die Waschmaschine steht, hätte eigentlich zum Sperrgebiet erklärt werden müssen. Es ist ja auch kein Wunder: Die ganze Zeit am Lagerfeuer, Rauch, Ruß, Schweiß. Fünf Tage lang. Und duschen konnten wir in dieser Zeit gar nicht. Für Reinlichkeitsfanatiker der blanke Horror.
Aber jetzt ist alles wieder sauber und frisch – bereit für eine neue Woche. In dieser sollen wir in der Ersten Hilfe geschult werden. Nebenbei dürfen wir noch ein bisschen mit unseren Waffen spielen. Skizzen malen und böse Feinde suchen. Wie früher im Sportunterricht in der Schule der Kraftkreis, gibt es auch hier mehrere Stationen, die wir nun alle nacheinander besuchen dürfen.

Auf eine dieser mit Liebe aufgebauten und mühevoll vorbereiteten Stationen freue ich mich ganz besonders. Ich bin ja schon froh, dass ich unser Gewehr G3 immer einigermaßen auseinander- und wieder zusammengebaut bekomme. Aber das Ganze jetzt mit verbundenen Augen? Auf dem Bauch liegend?
„Guten Morgen, Männer!“ Wer ist er denn? Ein OGVA, ein Obergefreiter-Offiziersanwärter! Ein Wichtigtuer, der mal ganz hoch hinaus will. Und der Weg nach oben scheint über die Havelberger Grundausbildung zu führen. „Ich bin Obergefreiter VA D. An dieser Station sollen Sie Ihr Gewehr G3 mit verbundenen Augen…“ Na ja, er erzählt uns nichts Neues. Wir wissen, was zu tun ist. Aber dass ein Mannschaftsdienstgrad hier den Befehl über uns hat, also das ist schon echt schwer zu verkraften.
Das G3 auseinander zu pflücken ist nicht das Problem, viel mehr das Wiederzusammenbauen. Erstens muss man wissen, welches Teil wohin gehört. Und wenn man das weiß, muss man sich dann noch erinnern, wo man das Teil hingefeuert hat. So total blind ist das schon problematisch. „Pionier! die anderen sind schon fertig!“ Ja, ja… „Die anderen warten schon auf Sie!“ Sollen sie doch! Wo ist der verdammte Verschluss? Und das Griffstück?

Es ist schon erstaunlich, wie warm es noch im Oktober werden kann. Und wenn es auf dem ganzen Platz keinen Schatten gibt, macht so ein Stationswandern doppelt so viel Spaß!
Aber das absolute Highlight steht uns jetzt bevor: die Bergung von Verletzen oder: „Retten und Bergen von Zwergen“. Und es wäre schön, wenn die Pseudo-Verletzten tatsächlich Zwerge wären. Tatsächlich ist Pionier R. größer und schwerer als ich, der ihn jetzt bergen darf.
Unteroffizier G. erklärt, was ich mit dem schwer Verunfallten, aber dennoch breit grinsenden R., zu tun habe. „Als erstes sprechen Sie ihn mal an!“ – „R.! Aufwachen!“
R. ist schwer. Sehr schwer. Wären wir tatsächlich im Krieg, wären wir wohl in der Zeit, in der ich versucht hätte, meinen Kameraden zu retten, ungefähr 15-mal erschossen worden.
„Geht das auch schneller?“, schreit Uffz G. Der hat gut reden! Der macht sich einen faulen Lenz.
Meine Kräfte schwinden. Ich habe keine Lust mehr. Ich schwitze wie ein Schwein. R. und ich kommen nur im Schneckentempo voran. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich bin dafür, eine neue Disziplin einzuführen: Retten und Bergen des Retters und des Zwerges.


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Kommentare

Eine Antwort zu „In der AGA (18): Zwergenrettung“

  1. […] geht gar nicht. Am schlimmsten war er, nachdem ich im Oktober 1998 nach einer Woche im Bundeswehr-Biwak wieder nach Hause kam. Dort saßen wir vier Tage lang jeden Abend am Feuer – und hatten nicht […]

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