In der AGA (3): Nochmal gemustert

„Links… zwo… drei… vier… links… zwo… drei… vier…“ – Wir
marschieren. Wir müssen schließlich lernen, wie man vernünftig
hintereinander läuft, ohne dem Vordermann in die Hacken zu treten.
In meinem Fall wäre es Patrick, der meine Tritte ertragen müsste.
Unteroffizier G. läuft neben uns, zählt die Schritte und sieht, ob
wir alle im gleichen Takt laufen. „Der dritte Mann von hinten…“, er
meint mich, „… Schritt aufnehmen!“ Um das zu schaffen, starre ich auf
Patricks Füße. Und tatsächlich schaffe ich es, mich einzutakten. „Der
dritte Mann von hinten…“, offensichtlich meint G. wieder mich,
„… nicht nach unten sehen!“ Ja, der sagt das so einfach, also zähle ich
in Gedanken mit: „Links, zwo, drei, vier…“
Da unsere Musterung schon wieder ein Jahr her ist (-> 26.9.1997), muss diese ganze Prozedur eben noch mal stattfinden. Wer weiß, vielleicht hat sich ja unser gesundheitlicher Zustand in den letzten Monaten gebessert, das hoffen zumindest die Bundeswehr-Arzt-Kapazitäten und Ausbilder. Wir allerdings hoffen genau das Gegenteil. Gibt es wirklich nichts, was den Herrn Oberstabsarzt dermaßen beeindruckt, dass er uns vor Schreck gleich „untauglich“ oder wenigstens als „T-7-ner“ (kurz vorm Tod) einstuft? Schon damals bin ich in Neuruppin an diesem Vorhaben kläglich gescheitert. Ich wurde seinerzeit zu einem „T-3-er“ abgestempelt.
Schon gestern fanden die Voruntersuchungen statt. Beim Hörtest
haben sich klitzekleine Unregelmäßigkeiten gezeigt. Als ich dann noch
meinte, dass ich schon seit einigen Monaten ein leichtes Ohrensausen
habe, hatte ich bereits einen Arzttermin sicher: Mit einem Bus werden
wir irgendwann bald (den Termin sagt man mir noch) zu einem
StOSanZ (Standortsanitätszentrum) gefahren, wo man das mal näher
testen will. Ich glaube, das werd‘ ich überstehen. Aber vor allem: Einen
Tag weg von hier – keine Ausbildung mit den anderen! Strike!
Ja, das war gestern. Heute steht nun die Hauptuntersuchung auf dem
Plan. Diese besteht aus: „Guten Tag“ sagen; wiegen; Größe und
Blutdruck messen; sich nur in Unterhosen auf eine Liege pflanzen;
Knie abtasten; Reflexe testen; Kniebeugen machen; die Unterhose
runterziehen; meine beiden wohlbehüteten wichtigsten Teile
antatschen lassen (glücklicherweise nur mit Gummihandschuhen); dem
blöden Grinsen der Krankenschwester (was es da zu Grinsen gibt, ist
mir allerdings vollkommen schleierhaft, bisher gab’s da ganz andere
Reaktionen), Unterhose wieder hoch ziehen; sich an den Tisch setzen;
fragen, wie es sonst so geht; sagen, dass man’s ab und zu am Knie
hat; gütiges Lächeln des Arztes und mitleidiges Augenzwinkern der
Krankenschwester, die übrigens nicht so hübsch ist, wie sie es
wahrscheinlich von sich selbst denkt; sagen, dass man hin und wieder Kopfschmerzen hat; eine Erwiderung, dass die Luft hier in Havelberg
so gut ist, dass das hier niemals vorkommen wird; die Feststellung
dass ich super drauf bin; Höherstufung auf „T 2″ und „Auf Wiedersehen“ sagen.
Ich habe mir schließlich jetzt schon vorgenommen, dass es ab und zu mal für ein „Neukrank“ reicht und ich meinen zukünftigen Lieblingstruppenarzt besuchen werde…
In der Mittagspause dürfen wir netterweise auf unsere Stuben
(nachdem wir ganz alleine den Weg vom Mannschaftsspeisesaal ins
Kompaniegebäude gefunden haben!), dort aber dürfen wir uns weder
aufs Bett legen, noch unseren Kopf auf den kleinen Tisch stützen.
Wenigstens dürfen wir die vier Stühle unseres Zimmers benutzen und
müssen nicht an den Spinden lehnen. Es könnte sonst sein, dass, zur
Strafe, all unsere akkurat bestückten Schränke von unseren reizenden
Ausbildern radikal leer gefegt werden und wir sie in Windeseile wieder einräumen müssen. In diesen Spinden hat nämlich alles, vom Schlafsack bis zum Tarnnetz, seinen vorgeschriebenen Platz. Wer weiß was passiert, wenn G. merkt, dass unsere süßen tarnfarbenen Blusen nicht so ganz hundertprozentig zusammengelegt und übereinander gestapelt sind? Vielleicht irgendwas zwischen Wutanfall und Volker Rühe anrufen. Ob Volker tatsächlich nach Havelberg käme, weil Pionier Robert Tieslers Bluse eine Falte zu viel hat, ist allerdings mehr als fraglich.
Aber unsere Ausbilder haben ja noch ganz andere Möglichkeiten, uns
zu triezen. Zum Beispiel dann, wenn die Mittagspause um ist und wir
wieder auf dem Flur antreten müssen. „Dritter Zug – Vorbereiten zum
Antreten!“, schreit StUffz (Stabsunteroffizier) N. von draußen.
Nun stehen wir vier in unserer Stube an unseren Spinden und warten nervös auf den nächsten Befehl.
Jetzt, an unserem vierten Tag, haben wir schon eine ganz gute Strategie, wer wann am schnellsten raus rennt, das Licht im Zimmer ausmacht und die Stube abschließt.
Doch unseren drei Ausbildern ist unser Zug einfach zu lahmarschig. Also der gesamte Zug auf noch einmal auf die Stuben und dann das Ganze wieder von vorn…
Und wenn das wieder nicht klappt… „Wir haben Zeit!“ Und wir, die
Rekruten, dürfen rennen!
Aber wie gesagt, heute ist der vierte Tag, so dass wir schon alle eine
gewisse „Scheißegal-Stimmung“ an den Tag legen. Sollen sie doch
alle schreien! Wir können doch auch nichts dafür, dass die nackten
Weiber, die sie in den letzten Tagen gesehen haben, alle nur auf
Hochglanzpapier abgedruckt sind und sie schon sehnsüchtig drauf
warten, dass sie’s von ihren Frauen mal wieder so richtig besorgt
bekommen…

Heute haben wir auch ganz nebenbei erfahren, dass unser
Wochenende flachfällt. Heute und morgen haben wir immer bis Fünf,
übermorgen, also Sonntag, bis zwölf Uhr Mittag Dienst. Patricks Eltern wollen morgen hierher nach Havelberg kommen. Hier ist an diesem Wochenende Pferdemarkt mit Rummel, den werden wir bei
dieser Gelegenheit besuchen.
Und Sonntag werden wir, so kurz die Zeit auch ist, nach Hause fahren. Hier hält uns nichts!


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