In der AGA (2): Getarnt

„Dritter Zug – Aufsteeeeehn!“ Dieser Ruf von Stabsunteroffizier N., Gruppenführer der 1.Gruppe, schallt durch den Flur. Es ist genau 4.58 Uhr. Mittwoch früh. Es ist der zweite Tag. Geschlafen habe ich kaum. Wenn überhaupt. Draußen ist es noch dunkel. Aber wir müssen wohl trotzdem aufstehen.
Auf dem Flur ist es arschkalt. Aus allen Zimmern kommen schläfrige, junge Männer herausgetappt und laufen schnurstracks in den Waschraum, in dem es glücklicherweise wesentlich wärmer ist. Die Duschen und die Waschbecken sind von mehr oder weniger oder auch gar nicht bekleideten Kerlen umringt. So werden die Tage also immer anfangen: Kampf um einen Waschplatz und darauf hoffen, dass das warme Wasser reicht.
Ich habe gerade mal die Unterhose und das T-Shirt angezogen, als es von draußen ertönt: „Dritter Zug – Vorbereiten zum Raustreten!“ So, jetzt habe ich noch ´ne knappe Minute Zeit, bis ich fix-fertig angezogen bin. Das ist vielleicht mit meinen privaten Klamotten, die ich heute noch mal anziehen darf, zu schaffen, aber bald muss das mit der Uniform in der gleichen Zeit gehen.
Wenig später stehen alle 33 Mann unseres Zuges in Reih’ und Glied auf dem Flur. Anwesenheitskontrolle. Dazu hat N. ein Notizheftchen, in dem all unsere Namen stehen. Schon gestern hat man uns beigebracht, dass, wenn wir irgendein Wehwehchen haben und zum Arzt wollen/müssen, wir, wenn wir aufgerufen werden, „Neukrank“ antworten müssen. Ansonsten sagen wir einfach nur „Hier!“ oder, wenn es der Stabsunteroffizier befiehlt: „Hier, Herr Stabsunteroffizier!“ Und er wird es fast immer so befehlen…
Danach werden wir zum Frühstück geführt. Wir werden jetzt nämlich überall hin geführt. Zum Essen, zum Lernen, zum Onkel Doktor – wirklich überall hin. Nur zum Klo dürfen wir alleine gehen. Besagtes Frühstück ist um 5.45 Uhr natürlich sehr willkommen, mir steht quasi der Magen still. Zumal wir auch nicht die einzigen sind, die frühstücken wollen/müssen. Die anderen beiden AGA-Züge (Allgemeine Grundausbildung) gehen, wie sollte es anders sein, zur selben Zeit wie wir, zum Mannschaftsspeisesaal. Vor mir stehen also bestimmt noch etwa 80 Leute. Und in spätestens 20 Minuten müssen wir wieder auf unseren Stuben sein. Überraschenderweise werden wir vom Essen nicht ins Kompaniegebäude geführt! Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das auch alleine schaffen… Als wir dann doch noch unser Essen auf dem Tablett zu liegen haben, schlingen wir es wortlos in uns hinein. Patrick, der mir gegenüber sitzt, sieht mich nur an und aus seinem Gesicht kann ich auch nur eine gewisse „Skepsis“ ablesen. Ich glaube, ich habe keine Lust mehr auf die Bundeswehr…
Nach dem Stuben- und Revierreinigen, das wir gestern Abend ja schon mal geübt haben, findet der morgendliche Appell der Kompanie statt. Hier wünschen uns jeden Morgen um Punkt 7 Uhr der Spieß und der Kompaniechef einen guten Selbigen. Und teilen uns ganz wichtige Sachen mit: Welche Erfolge es zu vermelden gibt (Misserfolge gibt es nicht oder werden eben nicht vermeldet), welche tollen Dinge die AGA-Züge heute auf dem Plan zu stehen haben („untolle“ Dinge gibt es nicht und wenn doch, werden sie erst recht als toll bezeichnet) und wer Geburtstag hat. Derjenige darf sich freuen: Er darf vor die Kompanie treten, sich beglückwünschen lassen und sich ein dreifaches „Anker – wirf!“ aller Soldaten anhören.
Dann sind wir mit einem Reisebus nach Burg kutschiert worden. Dort befindet sich die StoV (Standortverwaltung) mit unseren Tarnklamotten, die wir jetzt einsacken dürfen. Und anziehen dürfen… müssen.
Auf einer kleinen Bühne werden wir vermessen. Schuh- und Körpergröße, Kopf-, Hals-, Bauchumfang und Gewicht müssen stimmen, schließlich muss das Zeugs ja auch passen. Als nächstes werden uns kleine Wägelchen zugewiesen, mit denen wir von Station zu Station wandern, um da die wichtigen und sehr wichtigen Utensilien in Empfang zu nehmen. Fast wie bei ALDI, wenn man vom Butterregal an der Getränkeabteilung vorbei, zur Wursttheke wandert. Nur dass man hier eben Tarnhosen, Tarnmützen, Tarnjacken, den Tarnhelm (interessanterweise müssen wir den Stahlhelm, oder auch „der Knitterfreie“, selbst tarnen), außerdem bekommen wir noch einen sauschweren Dienstanzug und diverse Schuhe und Stiefel. Das meiste dürfen/müssen wir auch gleich anprobieren, ob uns die wertvollen Klamotten auch passen. So dürfen die netten Damen und Herren an den Stationen unsere Unterwäsche und auch unsere trainingsbedürftigen Oberkörper betrachten.
Passenderweise wird das gesamte Gebäude über das laufende Radio mit dem Song „In The Army Now“ beschallt. Die sowieso schon gedrückte Stimmung wird durch ausgerechnet dieses Lied nicht gerade gehoben…
Wieder in Havelberg angekommen, dürfen/müssen wir uns das Zeugs auch gleich anziehen. Nun stehen Patrick und ich uns gegenüber und die Skepsis in seinem Gesicht wird immer größer.
Mit den Uniformen, die wir jetzt alle anhaben, ergibt sich für uns ein Problem: Betritt jemand den Raum, können wir jetzt nicht mehr sofort unterscheiden, ob ein Vorgesetzter oder ein Kamerad die Stube betritt. Ob wir strammstehen müssen oder weiterlümmeln dürfen. Nachdem Unteroffizier G. unsere Stube betrat und keiner von uns sofort „Achtung!! – Herr Unteroffizier, Pionier Sowieso, ich melde, Stube 214, mit vier Mann belegt, vier Mann anwesend“ runterleierte und noch sagte, was wir gerade so machen (nie „abhängen“ sagen!!!), haben wir alle eine neue allgemeingültige Regel geschaffen: Mannschaftsdienstgrade klopfen an, bevor sie einen Raum betreten…


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Kommentare

4 Antworten zu „In der AGA (2): Getarnt“

  1. ThomasS

    So ähnlich ist es bei mir auch abgelaufen.
    Allerdings war Zivilkleidung schon vom Tag der Aufnahme an tabu.
    Die ersten zwei Tage sind wir in BW-Trainingsanzügen rumgelaufen, bis wir unsere eigentlichen Uniformen erhalten haben.
    „Abhängen“ heißt bei einer korrekten Meldung natürlich „Warten auf weitere Befehle.“ Und die korrekte Antwort lautet natürlich „Weitermachen!“ 🙂
    Zum Glück haben die Ausbilder das vorgeschriebene Prozedere selbst nicht so bierernst genommen. Die meisten zumindest.

    Vielleicht starte ich in meinem Blog demnächst mal eine lockere Reihe, „Meine Erinnerungen an die Bundeswehr“. Ich hab’s damals mehr oder weniger über mich ergehen lassen und war heilfroh, als ich es endlich hinter mir hatte. Aber es gab in den 15 Monaten durchaus einige interessante Erlebnisse und ich habe interessante Personen kennen gelernt.

  2. RT

    Bei uns war es auch noch relativ locker. Unsere Ausbilder waren auch nur Gast in der Kompanie.

  3. ThomasS

    Biwak, Märsche, Schießübungen, Formaldienst etc. hatten wir in der Grundausbildung natürlich auch alles. Bei dir scheint es noch einen Tick härter zugegangen zu sein. Aber ich war ja auch bloß bei den Fernmeldern. Zum Glück! ^^

  4. RT

    Rückblickend betrachtet war meine AGA nicht hart.
    Wobei es bei der AGA wurscht ist, welcher Gattung du angehörtest – die ist ja immer gleich.

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